Paul Rzehaczek: Razzia beim “Anführer” der nordsächsischen NPD-Jugend

Genau 144 Nazis haben sich am 14. Mai 2011 an einem Naziaufmarsch in Berlin-Kreuzberg beteiligt, bedrohten dabei MigrantInnen und prügelten auf AntifaschistInnen ein. Auf die möglicherweise geplante Eskalation folgten am 6. Juli zwölf Hausdurchsuchungen, davon eine in Chemnitz und zwei im nordsächsischen Eilenburg. Wie nun bestätigt wurde, richtete sich eine der Polizeirazzien gegen Paul Rzehaczek.

Der 21-Jährige mit Wohnsitz in der Eilenburger Windmühlenstraße ist “Stützpunktleiter” der “Jungen Nationaldemokraten” (JN) Nordsachsen, Vorstandsmitglied des NPD-Kreisverbandes sowie Aktivist des “Freien Netzes” und des von Maik Scheffler geleiteten “Aktionsbüro Nordsachsen”. Er arbeitet mit beim “Nordsachsen-Versand” seines Vaters Kai Rzehaczek, der für die NPD im Eilenburger Stadtrat sitzt und Mitbetreiber der “Anti-Antifa”-Website “Recherche Mitte” ist.

GegendemonstrantInnen zusammengeschlagen

Mehrere Fotografien des Kreuzberg-Aufmarsches, die der GAMMA-Redaktion vorliegen, zeigen Rzehaczek junior in einer eindeutigen Situation: Kurz nachdem die versammelten Nazis durch einen Tunnel die Straßenseite gewechselt hatten, attackierten sie dort unter den Augen der überforderten Polizei durch Tritte und Hiebe mit Fahnenstangen vier Jugendliche, die sich als Gegenprotest auf die Straße gesetzt hatten. Mitten in der Angreifergruppe: Paul Rzehaczek.

Ebenfalls an dem Gewaltausbruch beteiligt war Rzehaczeks Kamerad und Nachbar Jens Heller, der auch der NPD-Jugendorganisation “JN” angehört. Weitere Bilder zeigen, wie der Gärtnerlehrling Heller einer am Boden liegenden Person in den Rücken tritt. Die Polizei ging erst nach einer Weile dazwischen. Festnahmen: keine.

Bei den Hausdurchsuchungen sei laut Polizei dennoch “zahlreiches Beweismaterial” – darunter Waffen – sichergestellt worden, Rzehaczek musste sich zudem einer “erkennungsdienstlichen Behandlung” unterziehen. Bekannt ist außerdem, dass weitere Nazis aus der Region am Aufmarsch teilgenommen haben, etwa die “Freies Netz”-Aktivisten Robert Böttger aus Borna, Sebastian Oehme, Rico Graulich und Andy Krumbiegel aus Geithain sowie Felix Tonn aus Eilenburg. Unterstützung bekamen sie auch aus Leipzig: Von hier reisten Kevin Glöckner, Marco und Andreas Seydewitz sowie Marcel Wittig (“Heimattreues Leipzig”) an. Mit von der Partie war auch der wegen Körperverletzung vorbestrafte NPD-Landtagsmitarbeiter und Leipziger JN-Aktivist Istvan “Chemo” Repaczki.

Selbsteinschätzung: “Jungs in Schwarz mit dem doppelten Blitz”

Über den Twitter-Account des “Freien Netzes” wurde über den Aufmarsch sogar “live” berichtet (siehe Screenshot eins und zwei). “Ausländer raus”, hieß es dort, “Aktivisten überrennen linke Blockade” und “Leipzigs Widerstand unterstützt Demo”. Resümee der hiesigen Nazis vom Tag: “Nationale Sozialisten haben heute in Kreuzberg Ausländern, Gegendemonstranten und Staatsmacht die Leviten gelesen”.

Bei der Gelegenheit wurde auch ein Lied der Neonazi-Band “Stahlgewitter” (“Eine Division nach Kreuzberg”) zitiert, in dem es heißt:

“Meint Ihr nicht auch, dass es langsam reicht, / macht ganz Kreuzberg dem Erdboden gleich! / Eine Division nach Kreuzberg, eine Division in Schwarz. / Keine Gnade mehr für Kreuzberg, keine Gnade, / eine Division, und das war’s. […] Wir brauchen sie wieder, das ist kein Witz, / die Jungs in Schwarz mit dem doppelten Blitz.” [Gemeint ist das Signet der SS, eine doppelte Sig-Rune.]

In einem Bericht des “Aktionsbündnis Leipzig”, vermutlich aus der Feder Repaczkis, heißt es:

“Um auch in der deutschen Hauptstadt Berlin gegen Überfremdung und Ausländerkriminalität anzukämpfen und verloren geglaubte Stadtteile nicht ganz den orientaliden Horden zu überlassen, fuhren vergangenen Sonnabend volkstreue Aktivisten aus Leipzig nach Berlin, um die Widerstandsbewegung vor Ort bei ihrem Vorhaben zu unterstützen, im Rahmen der „Ausländer raus“ Kampagne eine Demonstration in den Brennpunkten Neukölln und Kreuzberg durchzuführen.” (siehe Screenshot)

In einem weiteren “Aktionsbericht” der Kameradschaft “Nationaler Widerstand (NW) Berlin”, die von Aufmarsch-Anmelder Sebastian Schmidtke angeführt wird, werden die gewalttätigen Übergriffe mit einer angeblichen “Notwehrlage” gerechtfertigt. – Die Ermittlungen dazu, die sich auch gegen Schmidtke richten, dauern noch an, gehen allerdings nicht von “Notwehr” aus. Ungeachtet dessen wird Schmidtke für die NPD-Kundgebung am 20. August vor dem Leipziger Völkerschlachtdenkmal als Redner angekündigt.

“Junge Nationaldemokraten”: eine kriminelle Vereinigung

Auch auf der Website der “Jungen Nationaldemokraten” wird für die Leipzig-Kundgebung, die wie der Kreuzberg-Aufmarsch den gewalttätigen Kern der NS-Szene ansprechen soll, geworben. In Sachsen sind die JN-Gruppen in der Hand des “radikalen” NPD-Flügels und weisen deutliche Überschneidungen mit der Kameradschafts-Szene auf, deren Anhänger unumwunden den Nationalsozialismus propagieren.

Erst Anfang Juni hatten sich die JN-“Stützpunkte” Delitzsch/Eilenburg, Torgau und Oschatz zum JN-Verband Nordsachsen zusammengeschlossen. Paul Rzehaczek, der bisher den JN-Verband Delitzsch/Eilenburg leitete, übernahm dessen Führung. In einem Parteibericht hieß es, Rzehaczek habe sich auf seinem Posten “die Pflege von Heimat-, Kultur- und Traditionsbewußtsein […] besonders auf die Fahne geschrieben.”

Was das bedeuten soll, demonstrierten Rzehaczek und seine Kumpanen unter anderem in Kreuzberg. Ein weiterer Kumpane – der Oschatzer JN-Sympathisant Ronny Schleider – sitzt derweil in Untersuchungshaft, weil er Ende Mai einen Obdachlosen im nordsächsischen Oschatz so schwer misshandelt hat, dass er wenige Tage darauf verstarb. Eben solche Vorfälle belegen, dass es sich bei den “Jungen Nationaldemokraten” nicht nur um einen faschistischen Verein mit ausgewachsenen Gewaltphantasien handelt – sondern um eine kriminelle Vereinigung.


Über den Kreuzberg-Aufmarsch berichteten der Blog “Berlin rechtsaußen” mit weiteren Fotos, außerdem hat das apabiz einer ausführliche Dokumentation (PDF) erstellt. Viele der beteiligten Nazis konnten zudem namentlich identifiziert werden, auch die Angriffe wurden dokumentiert.

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