Nazi-Kundgebung in Leipzig: Auftakt zur Anti-EU-Kampagne der NPD

Ergänzung vom 20. Juli: Maik Scheffler hat die Kundgebung zwar für den NPD-Landesverband angemeldet, allerdings hat ihn das Ordnungsamt wegen “Unzuverlässigkeit” als Versammlungsleiter abgelehnt. Für ihn ist der NPD-Landtagsabgeordnete Andreas Storr eingesprungen.


Die sächsische NPD und „Freie Kräfte“ mobilisieren zu einer Nazi-Kundgebung am 20. August vor dem Leipziger Völkerschlachtdenkmal. Anmelder ist Maik Scheffler, Vorsitzender des NPD-Kreisverbandes Nordsachsen. Erwartet werden 300 bis 500 Teilnehmer.
 
Eine erste Einschätzung vor dem Hintergrund parteiinternen Zanks, über den wir jüngst berichteten, und anhand der angekündigten Redner und Bands gibts hier. Die GAMMA-Redaktion legt an dieser Stelle eine politische Bewertung nach, und die beginnt mit einem Verwirrspiel:

 
Erstmals angekündigt wurde die Leipzig-Kundgebung auffällig beiläufig in einem E-Mail-Rundschreiben vom 14. Juni 2011. Darin wurde über das „Sommerfest“ der sächsischen NPD-Landtagsfraktion berichtet, das am 11. Juni auf dem Grundstück des Abgeordneten Winfried Petzold in Roda bei Mutzschen (Landkreis Leipzig) mit 350 Gästen (Eigenangabe) stattfand. Erst am Vorabend hatte die Polizei das „Pfingstlager“ des NPD-Nachwuchses „Junge Nationaldemokraten“ (JN) in Niesky unterbunden, weil der Verdacht einer Wiederbetätigung der verbotenen „Heimattreuen Deutschen Jugend“ (HDJ) bestand.

Laut des besagten Rundschreibens habe der NPD-Landesvorsitzende Holger Apfel beim „Sommerfest“ dann für die Kundgebung in Leipzig geworben, um „zugleich ein Zeichen gegen die zunehmende Repression gegen nationale Deutsche [zu] setzen, wie sie gerade wieder die JN erleben mußte.“ Und weiter:

Die Nationaldemokraten wollen das Scheitern des Sächsischen Versammlungsgesetzes vor dem Verfassungsgerichtshof dazu nutzen, am Völkerschlacht-Denkmal eine Kundgebung durchzuführen, erläuterte Apfel. Der Platz um das Denkmal gehörte zu den Orten in Sachsen, die das Gesetz zu Bannmeilen erklärt hatte.

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Nazi-Kundgebung am 1. Mai 1998 vor dem Völkerschlachtdenkmal. Im Jahr zuvor war der rechte Auflauf verboten worden, 1998 gab es massive Gegenproteste – die LVZ schrieb, es sei „ein bißchen wie in Belfast“ zugegangen (02.05.1998). Ab 2001 wollte Christian Worch wiederholt mit Aufmärschen zum „Völki“ ziehen und scheiterte damit jedes Mal. (Foto: SPIEGEL)

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Obskur an der ursprünglichen Ankündigung war, dass der Leipzig-Termin in anderen Parteimedien noch nicht aufgetaucht war und auch bis dato kaum öffentlich beworben wird. Zudem lautet das Motto anders als gedacht: „Völker zur Freiheit – Nein zur EU-Diktatur!“

Tatsächlich ist diese Kundgebung Bestandteil einer neuen Kampagne der NPD, die seit 1. Juli läuft und den ähnlichen Titel „Raus aus dem Euro – Nein zur EU-Diktatur!“ trägt. Dazu teilte die Partei am selben Tag mit:

Mit Demonstrationen, Überraschungsaktionen, Mahnwachen, Internetaktivitäten, Flugblättern, Transparenten, Aufklebern sowie einer Unterschriftenaktion möchte die NPD den sich formierenden Widerstand gegen den Euro bündeln und zu politischer Wirkung bringen.

Hauptlosung der Kampagne, zu der eine eigene Website gehört: „Wir wollen nicht Zahlmeister Europas sein! Raus aus dem Euro – jetzt!“ Bereits im Aufmacher der Juni-Ausgabe des Parteiblattes „Deutsche Stimme“ (DS) hieß es im gleichnamigen Aufmacher („Raus aus dem Euro – jetzt!“) verheißungsvoll:

Noch gibt es Alternativen, sei es die Rückkehr zur D-Mark, sei es eine Währungsunion mit Österreich und der Schweiz. Nur: wir müssen handeln. Die NPD ist ganz vorn dabei und wird den Widerstand gegen den Bankrott-Euro in den nächsten Wochen auf die Straße tragen.

Erster bekannter Termin: Leipzig, 20. August.

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Mit dem Thema EU und Euro greift die NPD einen beliebten Dauerbrenner rechter Politik auf. Bereits der erste erfolgreiche NPD-Landtagswahlkampf 2004 in Sachsen war mit Slogans wie „Euro = T€uro“ ausgefochten worden – nicht nur durch die NPD, die damals noch in Konkurrenz zu Splitterparteien stand, die sich wie „Pro DM“ völlig auf das Thema eingeschossenen hatten. Damit war auf lange Sicht nicht viel zu gewinnen, aber noch im vergangenen Jahr starteten die mittlerweile bedeutungslosen Republikaner eine resonanzlose Kampagne mit dem Titel „Unser Land ist nicht die Melkkuh Europas“.

Der Aufruf zur neuen NPD-Kampagne schlägt in dieselbe Kerbe („Wir wollen nicht Zahlmeister Europas sein“) und fordert, „südosteuropäischen Pleitestaaten“ keine deutschen Finanzhilfen mehr zu gewähren und die Währungsunion rückgängig zu machen, den Euro also wieder abzuschaffen. Man handle dabei im Interesse der „Deutschen“, die „ahnen, dass sie nun von den eigenen Politikern zur Schlachtbank geführt werden“.

Der Leipzig-Aufruf bedient sich zudem der revanchistischen Metapher, Europa sei für Deutschland wie ein „Versailles ohne Krieg“, die EU erweise sich als „antideutsches Enteignungsprogramm“ – und Griechenland sei „finanziell sowieso nicht mehr zu retten.“

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Das ist nicht neu, bereits Tenor eines Teils der massenmedialen Berichterstattung, aber noch zurückhaltend gegen das, was sich die NPD bezüglich Europa weiterhin auf die Agenda gesetzt hat:

Im aktuellen Parteiprogramm (Fassung 2010) wird der „Austritt aus der Europäischen Union“ inklusive Abschaffung des Euro als programmatischer Grundgedanke vorgestellt. Auf die Vorzüge einer gesamteuropäischen Politik möchte die NPD allerdings nicht verzichten und empfiehlt die Schaffung eines „europäischen Sicherheitssystems“ (Art. 19). Dafür allerdings

…muß das Bekenntnis zum abendländischen Erbe, zum nationalstaatlichen Ordnungsprinzip, zur Anwendung des Selbstbestimmungsrechts der Völker und zum Prinzip der Volkszugehörigkeit Grundlage einer Neuordnung sein. (Art. 11 b)

Deutlicher wird die NPD im 2003 verabschiedeten „Europaprogramm“. Im Vorwort konstatiert der Parteivorsitzende Udo Voigt, der EU fehle eine „völkische Grundlage“. Die NPD konzentriere sich daher auf

…die Wiederherstellung der vollen Handlungsfgähigkeit des Deutschen Reiches, […] eine Staatskonzeption, die […] auf die Verwirklichung der deutschen Volksgemeinschaft ausgerichtet ist.

Auf dieser Grundlage soll anstelle der EU ein „europäischer Staatensbund“ mit Deutschland – wörtlich: dem „Deutschen Reich“ – als „starkem“ Machtzentrum entstehen. Dieser „Gegenentwurf zur EU“ (Art. 2) solle vor allem durch seinen „militärischen Arm“ ausgezeichnet werden. Ziel dieses „Sicherheitssystems“ sei die Verteidigung des „Europa der Vaterländer und Völker“. Hauptkennzeichen dieses so genannten „europäischen Bundes“ sind „geschlossene Siedlungsräume“ (Kap. 5).

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Die EU-Kritik der NPD argumentiert zum einen damit, dass „Demokratie und Menschenrechte nur Fassade“ seien (Kap. 2). Allerdings bedeuten „geschlossene Siedlungsräume“ selbst das Gegenteil von Freizügigkeit und Selbstbestimmung. Ferner will die NPD im fiktiven „europäischen Bund“ Entscheidungsgremien schaffen, die eine Aushandlung auf Regierungsebene bezwecken, aber selbst nicht demokratisch legitimiert sind. Demokratische Mitbestimmung hat im NPD-Entwurf prinzipiell keinen Ort.

Zum anderen bemängelt die NPD, dass die EU hauptsächlich „fremden Mächten“ diene – mehrfach wird dabei Israel genannt – und „fremden Profitinteressen“ folge. Zugleich würden sich „schwächere“ EU-Mitgliedsstaaten als „Wachstumshemmnisse“ für Deutschland erweisen (Kap. 4).

Die NPD richtet ihre Kritik insofern nicht auf die kapitalistische Struktur der europäischen Ökonomie, sondern skandalisiert in nationalistischer Manier, dass Deutschland nicht der alleinige und nicht der größte Profiteur dieser Ökonomie sei. – Aber selbst diese Allerwelts-Diagnose, Deutschland käme in der EU nicht immer am besten weg („Zahlmeister der EU“), kann infolge hiesiger Wachstumsdaten, die für erfüllte Profitinteressen bürgen, infrage gestellt werden.

Entsprechend fordert die NPD auch nirgends die Abschaffung der europäischen Binnenwirtschaft oder einen Wandel ihrer ökonomischen Struktur, sondern nur die Reform ihres Verkehrsmittels, des Euro, zugunsten eines anderen, der D-Mark. – Wie genau damit Strukturkrisen der Wirtschaft vorgebeugt werden kann, die noch genauso funktioniert wie zuvor, wird nirgends erklärt.

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Die NPD-Analyse mag haltlos sein, aber sie ist nicht ungefährlich. Wiederum in der Juni-Ausgabe der „Deutschen Stimme“ (DS) wird das EU-Bashing flankiert durch einen antisemitischen Artikel mit der Überschrift „Ein ‚Goldman’ an der EZB-Spitze?“ Darin ist von „illustren Bankstern von der Wallstreet“ die Rede, die sich „wie eine Spinne im Netz“ als „auserwählt“ für „Mammons irdische Macht“ gerierten – auch in Europa und „natürlich“ zum Schaden Deutschlands.

Die DS findet es bemerkenswert, „daß schon Ende April der Sohn jüdischer Einwanderer Nicolas Sarkozy bei seinem Besuch in Rom euphorisch ‚Goldman Draghi’ als neuen ‚Mr. Euro’“ – Draghi ist designierter Chef der Europäischen Zentralbank – „präsentierte. Die Wahl war längst getroffen, die Regierungschefs der Euro-Staaten lediglich Staffage für die wirklichen Entscheider der Welt. Und bei Sarkozy bewahrheitet sich zugleich das alte Sprichwort: Gleiche Brüder, gleiche Kappen.“

Der Italiener Mario Draghi ist Katholik, auch Sarkozy kommt aus einem christlichen Elternhaus. Die antisemitischen Tiraden der DS sollen von Fakten unbekümmert den Eindruck stärken, dass sich in der EU nicht nur eine ungenehme Macht konzentriere, sondern dass diese Macht mit einem bereits bekannten Feindbild zusammenfällt, obgleich die „Systempresse“ Draghis alttestamentarisches „Kainsmal“ verstecke.

Für die Kritik des Euro und die Anti-EU-Kampagne wird damit ein antisemitischer Zugang eröffnet, der für Nazis und andere Antisemiten über die gewohnten populistischen Losungen hinaus attraktiv scheint.

* * *

Was hat all das mit Leipzig und seinem Völkerschlachtdenkmal zu tun? Für ihre Ortswahl liefert die NPD eine eigentümliche Begründung:

Mit den ständig neuen Euro-Rettungsschirmen wird eine EU-Diktatur etabliert, die alle demokratischen Freiheiten und Mitbestimmungsrechte raubt, die sich die europäischen Nationen in ihrer Geschichte erkämpft haben – nicht zuletzt im Jahre 1813 in der Völkerschlacht bei Leipzig. Deshalb geht die nationale Opposition auch dort am 20. August auf die Straße.

Die Begeisterung für feudalistische Massaker muss man nicht ernst nehmen, aber man sollte die Geschichte vor einer Fälschung bewahren: Wer Anfang des 19. Jahrhunderts in irgendeiner Weise auf „Mitbestimmungsrechte“ schielte, hätte für Napoleons Code Civile gefochten. Es wurde bekanntlich beim Wartburgfest – der „ersten Bücherverbrennung“ – symbolisch zerstört. Sachsen wäre als Strafe für die kurzzeitige Liaison mit der Grande Armée beinahe von Preußen aufgelöst worden.

Eine „deutsche Nation“ stand da noch gar nicht auf dem Schlachtfeld. Die anti-französischen Befreiungskriege wurden hinterher zum zentralen Bezugspunkt und Gründungsmythos der anti-aufklärerischen deutschen Nationalbewegung, der in ihrer Breite wiederum nichts an „demokratischen Freiheiten und Mitbestimmungsrechten“ gelegen war, sondern am Beschwören völkischer Gemeinschaften.

Kein Wunder: Das 100 Jahre nach Napoleons Niederlage bei Leipzig eingeweihte Völkerschlachtdenkmal ist seit je ein Kultort des deutschen Nationalismus.

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