“Freies Netz”-Leaks

Stand: So., 06.11.2011, 11 Uhr

Korrektur vom 23.11.2011: Den User Nr. 5 namens “Andre” haben wir fälschlich als Jörg Czerney identifiziert. Tatsächlich handelt es sich um André Luther aus Delitzsch. Er ist neben Maik Scheffler für das “Aktionsbüro Nordsachsen” – also die von Scheffler geleitete Delitzscher Gruppe des “Freien Netzes” – zuständig und außerdem Mitglied von NPD und JN.

Einleitung, Zusammenfassung, Inhaltsverzeichnis

Direkt zum Inhaltsverzeichnis springen

a) Internes Forum des „Freien Netzes“:
„…wir sind ja Nationalsozialisten“ (Tommy Naumann alias „Feldgrau“)

Führende Neonazis aus Leipzig und Umgebung wollen eine „NS-Ersatzorganisation“ schaffen – und benutzen dafür die Jugendorganisation der NPD, die „Jungen Nationaldemokraten“ (JN). Ein internes Forum von Kadern der „mitteldeutschen“ Neonazi-Szene dokumentiert minutiös die Strategie und Ideologie des so genannten „Freien Netzes“ (FN). Die Daten wurden der GAMMA-Redaktion durch einen Szene-Aussteiger zugespielt, der damit seine Glaubwürdigkeit unter Beweis stellen wollte.

Beim „Freien Netz“ handelt es sich um eine der bedeutendsten Vereinigungen gewaltbereiter Kameradschaften, vorrangig aktiv in Sachsen, Sachsen-Anhalt und Thüringen. Finanziert wird die Kadertruppe, die sich zum historischen Nationalsozialismus bekennt und dessen Wiedereinführung anstrebt, vor allem durch die sächsische NPD. Dabei tonangebend sind bekannte Neonazi-Aktivisten, u.a. aus Leipzig, Delitzsch und Geithain.

b) Geheime „Weltnetzseite“

Belege: 00-startseite.jpg / 01-user.jpg / 02-admins.jpg / 03-konto.jpg / 04-whois.jpg / 05-fnsued.jpg

Das interne Forum des „Freien Netzes“ hörte auf den ungermanischen Codenamen „Hard To Hate“. Der Nutzerkreis war exklusiv, gerade 21 Mitglieder schrieben auf der klandestinen Plattform – allesamt Neonazi-Aktivisten, die sich als „Kameradschaftsführer“ verstehen. Innerhalb von nur drei Monaten kamen aus deren Feder mehr als 1.300 Beiträge zusammen.

Der GAMMA-Redaktion liegen wesentliche Auszüge dieses Forums vor, die zugrundeliegende Kopie stammt offenbar bereits vom Februar 2009. Zwar ist der Datensatz damit zweineinhalb Jahre alt, doch an Aktualität hat er nichts verloren: Innerhalb des „Freien Netzes“ gibt es strenge Organisations-Prinzipien, gefestigte Meinungsbilder und starre, andauernde Rollenverteilungen. Die User lassen sich durch ihre Beiträge realen Personen zuordnen (siehe 7. Anhang), ihre Aussagen sind verifizierbar. Darüber, wie der Informant die Forums-Daten erlangt hat, ist nichts bekannt – wir gehen aber nach intensiver Auswertung von ihrer Authentizität aus.

Plus: Das interne Forum war offenbar auf demselben Server installiert wie damals die verschiedenen Websites des „Freien Netzes“ und der neonazistische „Nordsachsen-Versand“. Lars Schönrock aus Delitzsch administrierte Websites und Forum, stellte dafür auch die nach wie vor auf ihn registrierte Domain hardtohate.com zur Verfügung. Schönrock, selbst Nutzer des Forums, stellte ferner das Konto (Sparkasse Leipzig) seines mittlerweile verstorbenen Bruders Jens Schönrock unter dessen Klarnamen dem „Freien Netz“ als Sammelkonto zur Verfügung.

Ihr Treiben versuchen die führenden Köpfe des „Freien Netzes“ zu verschleiern. Tatsächlich wirkt das „Freie Netz“ für Außenstehende wie ein Sammelsurium neonazistischer Propaganda-Websites – ein Trugschluss, dem auch die sächsische Landesregierung aufsitzt. Im Verfassungsschutzbericht 2010 des Freistaates heißt es auf Seite 23, das „Freie Netz“ sei lediglich ein „Internetportal“ zur Eigenwerbung und für Terminankündigungen. Gemessen an den Absprachen, die im Hintergrund liefen, ist das eine grobe Verharmlosung: Das „Freie Netz“ ist längst eines der aktivsten und fanatischsten Neonazi-Netzwerke, und es wächst weiter.

c) Zusammenfassung: „Freies Netz“ ist eine NS-Elite-Organisation

Nachfolgend werten wir exemplarisch einige Foren-Diskussionen aus, Zitate werden dabei jeweils durch Screenshots belegt. Diese Belege tragen anhand konkreter Beispiele zu einer realistischen Einschätzung des „Freien Netzes“ und dessen politischer Ausrichtung bei:

1. Das „Freie Netz“ versteht sich als „politisches Netzwerk“ von Kadern der Neonazi-Szene.

2. Innerhalb des „Freien Netzes“ gibt es tonangebende Führungspersonen. Zum hier betrachteten Zeitpunkt (Februar 2009) handelte es sich um Maik Scheffler (Delitzsch, User „Sibelius“), Tommy Naumann (Leipzig, User „Feldgrau“), Manuel Tripp (Geithain, User „Manuel“) und Thomas Gerlach (Altenburg, User „Hugo“). Mit den weiteren eingebunden Personen gab oder gibt es regelmäßige „Kadertreffen“.

3. Die Aktivisten des „Freien Netzes“ beziehen sich positiv auf den Nationalsozialismus und Ideologien wie den Antisemitismus. Ihr unmittelbares und verbotsrelevantes Ziel ist die Schaffung einer „NS-Ersatzorganisation“. Gewalt wird als Mittel der politischen Auseinandersetzung nicht nur akzeptiert, sondern angestrebt, und das Versammlungsrecht gezielt missbraucht.

4. Aus instrumentellen und strategischen Gründen sucht das „Freie Netz“ die Nähe zur NPD. Die Partei garantiert den Anschein von Legalität, leitet Geld an Kameradschafts-Gruppen weiter und bietet bezahlte Posten. Das FN nutzt seine Kontakte, um Entscheidungen innerhalb der NPD zu beeinflussen und die eigenen, neonazistischen Leitlinien durchzusetzen oder ihre Berücksichtigung gar zu erpressen. Für die Infrastruktur des „Freien Netzes“ nimmt ferner das NPD-Büro in Leipzig-Lindenau („Nationales Zentrum“, Odermannstraße 8) eine zentrale Stellung ein.

5. Eine besondere Rolle spielen die „Jungen Nationaldemokraten“ (JN) in Sachsen. „Freies Netz“-Kopf Tommy Naumann (User „Feldgrau“) hat den NPD-Jugendverband im Freistaat übernommen und will darin mit Hilfe weiterer FN-Mitglieder das gemeinsame „NS-Leitbild“ umsetzen.

d) Hinweise zur Dokumentation

Anspruch der hier vorgelegte Auswertung ist nicht Vollständigkeit, sondern die Dokumentation von Charakteristika des „Freien Netzes“ in ideologischer, aktionistischer und organisatorischer Hinsicht. Die dazu wiedergegebenen Passagen wurden nicht redigiert, Rechtschreibung und Grammatik entsprechen dem Original.

Auslassungen sind durch […] kenntlich gemacht, Anmerkungen von uns (inkl. Zuordnungen der User- zu Klarnamen) sind in eckigen Klammern notiert. Für eine bündigere Darstellung wurden Zeilenumbrüche teilweise entfernt.

Inhaltsverzeichnis

0. Überblick (dieses Dokument)

a) Internes Forum des „Freien Netzes“
b) Geheime „Weltnetzseite“
c) Zusammenfassung: „Freies Netz“ ist eine NS-Elite-Organisation
d) Hinweise zur Dokumentation

1. NS-Ideologie des „Freien Netzes“

a) Bekenntnis zum Nationalsozialismus
b) Antisemitismus und Antizionismus
c) Völkischer Rassismus

2. Aktionsformen des „Freien Netzes“

a) Direkte Aktionen
b) Geplanter Angriff auf Polizeiwache
c) Aktionen unter „falscher Flagge“
d) Schein-Kundgebungen und “Spontan”-Aktionen

3. Zwiespältiges Verhältnis zur NPD

a) „Arbeitsgruppe Wahlkampf“
b) „Freies Netz“ sucht nach Kandidaten
c) Scheffler vermeldet Erfolg
d) „Freies Netz“ und der „Führungsstreit“ in der NPD
e) Bleibende Differenzen: Beispiel Zwickau

4. Das „NS-Leitbild“ der „Jungen Nationaldemokraten“ (JN)

5. Infrastruktur des „Freien Netzes“

a) Eigenes Kopiergerät
b) NPD-Büro in der Leipziger Odermannstraße

6. Interne Auseinandersetzungen & Sonstiges

a) Schlägerei in Halle
b) Verbotsdiskussion

7. Anhang: User, Administratoren, Identifizierung

  • Buch 2013



    Das neue Recherche-Buch zum NSU ist erschienen: Schreddern, Spitzeln, Staatsversagen – Wie rechter Terror, Behördenkumpanei und Rassismus der Mitte zusammengehen. Inklusive einem Beitrag von Gamma.

    Mehr Infos beim VSA-Verlag…


    GAMMA-Printausgabe
    #194 (März 2013)
    zum Inhalt / Download (PDF)


    aktuelles Interview
    Aufgaben & Perspektiven antifaschistischer Medien. Veröffentlicht in Ausgabe 50 (Winter 2012/13) der Zeitschrift LOTTA: hier zum Nachlesen


    Buch 2012
    “Made in Thüringen? Nazi-Terror und Verfassungsschutz-Skandal". Mit Recherchen von GAMMA u.a.

    Bestellen…