Schwerpunkt “SG Leipzig-Leutzsch”
Soeben ist eine neue Ausgabe des GAMMA erschienen:
Hier gibts das PDF (2,8 MB) zum Download
Im Fokus der neuen Ausgabe steht die Pokalpartie der SG Leipzig-Leutzsch (SGLL) gegen den Roten Stern Leipzig (RSL) am vergangenen Sonntag, 4. September. Wir haben die Geschehnisse am Spielfeldrand aufbereitet, uns das SGLL-Publikum genauer angesehen und sind dabei auf einige Bekannte gestoßen.
Auf einen vielsagenden Videozusammenschnitt hatten wir bereits vor wenigen Tagen verwiesen. Über die Vorfälle beim Spiel hat mittlerweile auch die Lokalpresse berichtet. Und die Stadt hat eine Stellungnahme der SGLL eingefordert, deren Verantwortliche bisher behauptet hatten, dass gar nichts geschehen sei.
Wir wünschen euch viel Spaß bei der Lektüre. Den kompletten Artikel gibts auch hier zum Nachlesen:
Noch ein Verein für Nazis
Mehr als 1200 BesucherInnen verfolgten am 4. September 2011 das Landespokalspiel der Landesliga-Mannschaft SG Leipzig-Leutzsch (SGLL) gegen den Bezirksligisten Roter Stern Leipzig (RSL). Ursprünglich lag das Heimrecht beim RSL, die Partie sollte auf dem Sportplatz Leipzig-Dölitz ausgetragen werden. Allerdings erwarteten Verband und Polizei ein „Konfliktspiel“, das schließlich, nach dem Tausch des Heimrechts, im Alfred-Kunze-Sportpark (AKS) in Leipzig-Leutzsch stattfinden sollte.
Und ein Konfliktspiel wurde es tatsächlich: Schon im Vorfeld verbreiteten SGLL-Fans im Internet ein Bild, auf dem ein Ritter mit SGLL-Abzeichen einen roten Stern zerschlägt; daneben die Parole „Nur ein Leutzscher ist ein Deutscher“. Die Fan-Gruppierung „Razzia“ steuerte ein Motiv bei mit der Aufschrift „Wir Scheißen auf Politik! Ihr macht unseren Sport kaputt!“ [sic]. Das sehen nicht nur die SGLL-Fans so: Bei der letzten Sicherheitsbesprechung vor dem Spiel sagte SGLL-Vorstandsmitglied und Vereinssprecher Jamal Engel, dass es in Leutzsch keine „Antidiskriminierungs-Paragrafen“ gebe.
„Sieg Heil“ in Grün-Weiß
Im Nachhinein kann man das als offene Einladung für Nazis werten: Zehn bis 15 solcher Exemplare stellten sich bereits bei der Ankunft der RSL-Spieler neben der Kegelbahn auf dem AKS-Gelände, nahe des Gästeeingangs, teils vermummt auf. Darüber wurde auch Jamal Engel informiert. Er reagierte nicht.
Dieselben Nazis empfingen kurz darauf auch die etwa 500 anreisenden RSL-Fans mit dem antisemitischen „U-Bahn-Lied“ („…eine U-Bahn bauen wir, von Connewitz bis nach Auschwitz…“). Das ließen die daneben stehenden SGLL-Ordner ebenso durchgehen wie die Parole „Teutonisch, barbarisch, wir Leutzscher wir sind arisch“. Derweil war ein Security-Mitarbeiter der „Leipziger Löwen“ (Westennr. 0117/Funknr. 11) damit beschäftigt, RSL-Fans am Gästeeingang abzufotografieren und seine Bilder den Nazis zu präsentieren. Die zogen sich dann flugs wieder hinter die Kegelbahn zurück und durften anschließend – dank persönlicher Fürsprache Jamal Engels – ins Stadion gehen.
Dort wurden u.a. Transparente der „Leutzscher Kameraden“ aufgespannt. Der Altenburger Neonazi Thomas Gerlach, einer der Mitbegründer des „Freien Netzes“, machte mit einer Lucka-Zaunfahne auf sich aufmerksam. Etwa zur Hälfte der ersten Halbzeit wurde noch ein Transparent der „Metastasen“ aufgespannt.
Den eigenen Vorsatz, Politik außen vor zu lassen, haben die SGLLer nicht nur durch diese einschlägige Klientel gebrochen, sondern auch durch deren weiteres Verhalten: Über das gesamte Spiel hinweg wurden immer wieder „U-Bahn-“ und „Führer-Lied“ („Wenn das der Führer wüsst‘…“) angestimmt. Hinzu kamen Rufe wie „Kommunistenschweine“, „Juden, Juden, Juden“, ein „Sieg Heil“-Wechselgesang sowie der „Kühnengruß“.
Diese zweifelhaften Choreografien wurden dokumentiert und waren teilweise auch in der Live-Übertragung von „Leipzig Fernsehen“ und „Radio Blau“ gut zu hören. Den Rest belegen umfangreiche Foto- und Videoaufzeichnungen, die dem GAMMA vorliegen. Unüberhörbar wurden die Parolen, als ab der 70. Minute Hektik vor der Tribüne ausbrach: Zunächst waren vor dem SGLL-Eingang fünf Fans des FC Lokomotive aufgetaucht, woraufhin „L-O-K“-Rufe erklangen. Obwohl sich die SGLL-Fans selbst als konkurrierenden „Chemie“-Verein verstehen, gibt es mit der gewaltbereiten und rechtsoffenen Lok-Fanszene keine Berührungsängste. Das zeigten in der Vergangenheit auch gemeinsame Übergriffe von Lok-Anhängern und Chemie-Metastasen auf Linke, Fans von RSL und BSG Chemie.
Hinter dem Gästeblock tauchte sodann auch ein „Metas“-Mitglied auf. Als er begann, RSL-Fans anzupöbeln, versuchten weitere „Metas“ und „Leutzscher Kameraden“ erfolglos, zum RSL-Block zu gelangen. In den darauf folgenden Minuten drehte ein Nazimob vor der Tribüne erneut verbal auf, wieder kam es zu „Juden“-Rufen und weiteren Hitlergrüßen. Die Polizei hat zur selben Zeit ihre Kameras ausschließlich auf den RSL-Fanblock gerichtet.
Nach Abpfiff war es damit noch nicht vorbei: Spieler der SGLL sangen noch in ihrer Kabine ein Lied mit dem Text „Schlagt die Zecken tot“, bis sie bemerkten, dass es auch Außenstehende mitbekommen. Unterdessen versuchten 35 SGLL-Hooligans, die abreisenden RSL-Fans abzupassen, lieferten sich schließlich aber nur eine Schubserei mit Polizeibeamten. Einzelne Angreifer sind auf das anliegende Bahnhofsgelände gerannt und warfen mit Steinen in Richtung der RSL-Fans.
Zwei „Metas“ bedrängten danach an einer nahe gelegenen Haltestelle einen dunkelhäutigen Fußballer, der erst beim FC Sachsen Leipzig und nun bei der BSG Chemie spielt. Die Angreifer ließen von ihm ab, nachdem Außenstehende einschritten.
Gelbe Karte für Beschwerden
Infolge der volksverhetzenden „Fan“-Gesänge hätte der Schiedsrichter Jens Rohland (Regis-Breitingen) das Spiel abbrechen können. Er ist mehrfach von Spielern darauf und auf etliche homophobe Beleidigungen („schwule Sau“, „Schwuchtel“), die den RSL-Mitgliedern galten, aufmerksam gemacht geworden. Nach den wiederholten Beschwerden erklärte Rohland gegenüber dem Sicherheitsbeauftragten des RSL, dass er die Gesänge zwar gehört habe, er aber eine Eskalation befürchte, falls das Spiel abgebrochen werden müsse. Im Spielberichtsbogen hat der Schiedsrichter nur die Beschwerden über „diverse Gesänge“ vermerkt.
Als sich ein RSL-Spieler nochmals beschwerte und eine Reaktion einforderte, erhielt dieser sogar eine gelbe Karte wegen „Meckerns“. In der Lokalpresse wurde der Schiedsrichter hinterher mit dem Satz zitiert, dass er das Absingen faschistischer Lieder – entgegen seiner Aussage vor Ort – nicht bestätigen könne. Auch der Stadionsprecher ließ das, was man im ganzen Stadion hören konnte, unkommentiert.
Selbstverständlich will auch der unvermeidliche Jamal Engel von alledem nichts mitbekommen haben. Gegenüber BILD behauptete er, sein Verein habe „zu jeder Zeit alles im Griff“ gehabt. In der LVZ wird Engel mit den Worten zitiert, es habe eine „gute Stimmung“ geherrscht – alle anderen Behauptungen seien darauf zurückzuführen, dass der RSL ein „schlechter Verlierer“ sei. Und dann noch diese originelle Stilblüte: „Ich befasse mich nicht mit Politik. Im Spielberichtsbogen steht nichts dergleichen drin, also muss ich mich auch nicht damit befassen.“
SGLL fischt am rechten Rand
Die SGLL hat sich bei diesem Spiel eindeutig positioniert, und zwar ganz rechts außen. Die Vereinsverantwortlichen haben keine Anstalten gemacht, die Aufführungen ihrer Fans zu unterbinden oder wenigstens kritisch zur Kenntnis zu nehmen. Auch Schiedsrichter und Stadionsprecher haben nicht interveniert – das ist ostdeutscher Fußball.
Dazu gehört, dass der Sachsen-Leipzig-Nachfolger die neonazistische Insolvenzmasse des Vorgängervereins übernommen hat, um nicht vor leeren Rängen zu spielen. Die „Fans“ verkaufen das als „Tradition“ und verteidigen sie mit der Schutzbehauptung, ihr Sport wäre „unpolitisch“. So eine Lüge wird nicht wahrer, indem man sie endlos wiederholt. Wahr ist: Neben der „Lok-Fanszene“ gibt es mit der SGLL nun ein weiteres braunes Sammelbecken im Leipziger Fußball.