Warum die neofaschistische NPD schon wieder nicht verboten wird

Vorabmeldung: Ein neues NPD-Verbotsverfahren hat kaum Aussichten auf Erfolg. Das ergibt eine Detailanalyse, die GAMMA demnächst exklusiv veröffentlicht wird. Sie stützt sich auf die 1000-seitige Materialsammlung des Bundesamtes für Verfassungsschutz, die nun erstmals von unabhängiger Seite ausgewertet worden ist. Das Hauptproblem sind erneut die V-Leute in der Partei.

Über das Thema wird die GAMMA-Ausgabe 194 ausführlich berichten, die demnächst erscheint. Die Redaktion wird die Materialsammlung nicht veröffentlichen, ihr liegt sie auch nicht vor. Aus der Analyse wird die NPD keinen Nutzen ziehen können.

Seit einigen Tagen ist bereits die Kurzfassung des Verbotsmaterials bekannt. Eine detaillierte Sichtung der kompletten Materialsammlung, die als “Verschlußsache” gestempelt ist, belegt darüber hinaus eklatante Mängel. Obwohl alle Belege “quellenfrei” sein sollen, werden mit Doris Zutt und Per Lennart Aae zwei NPD-Funktionäre ausgiebig zitiert, die bereits während des ersten Verbotsprozesses im Verdacht standen, V-Leute des Verfassungsschutzes bzw. des Militärischen Abschirmdienstes (MAD) zu sein.

Das Verfahren war 2003 gescheitert, weil das Bundesverfassungsgericht aufgrund der großen Zahl von Spitzeln in NPD-Vorständen die notwendige Staatsferne der Partei bezweifelt hat. Zu einer inhaltlichen Bewertung war es damals erst gar nicht gekommen.

Die nun erstellte Materialsammlung soll zur unmittelbaren Vorlage eines neuerlichen Verbotsantrages werden – es droht damit eine Wiederholung der V-Mann-Affäre. Zwar sollen Spitzel in Vorständen bereits vor einem Jahr “abgeschaltet” worden sein. Aber für die Beweisführung herangezogen werden unter anderem Strategieschriften aus den 1990er Jahren, bei denen nicht glaubhaft ausgeschlossen werden kann, dass V-Leute an der Erstellung beteiligt gewesen sind. Die Garantie der “Quellenfreiheit” bezieht sich nur auf die Zeit ab 2003.

Quellenfrei und voller Spitzel

Im Interesse des “Quellenschutzes” wurde dagegen auf entscheidende Beweismittel verzichtet: So enthält die Materialsammlung im Gegensatz zum früheren Verbotsantrag keine ausführliche Straftatenstatistik, obwohl solche Daten vorliegen.

Mitunter bewirkt der “Quellenschutz” sogar sein Gegenteil: Durch Auslassung von Namen sind Rückschlüsse auf V-Leute möglich. Nirgends erwähnt wird etwa der aktuelle sächsische NPD-Landesvorsitzende Holger Szymanski. Zitiert werden weder Mitteilungen, die er als Fraktionspressesprecher zu verantworten hatte, noch Artikel aus jener Zeit, in der er Chefredakteur der Parteizeitung “Deutsche Stimme” gewesen ist. Szymanski steht im Verdacht, von 1998 bis 2002 – vor seinem Beitritt zur NPD – für das Landesamt für Verfassungsschutz gearbeitet zu haben. Die Partei dementiert das bislang.

Szymanski ist nun einer der ganz wenigen Spitzenfunktionäre, die in der Materialsammlung überhaupt nicht auftauchen. Aus dem Kreis der Landtagsabgeordneten fehlt Johannes Müller. Mit etwa 400 Personen kommt ansonsten fast die gesamte NPD-Führungsriege zu Wort.

Maximale juristische Unsicherheit

Durch die beiden NPD-Landtagsfraktionen steht ein neuerliches Verbotsverfahren auch vor einem bisher nicht geklärten juristischen Problem: Ausgesprochen viele Belege, die gegen die Partei angeführt werden, wurden Landtagsreden ihrer Abgeordneten entnommen. Die Parlamentarier genießen jedoch die so genannte Indemnität, die es ausschließt, dass ihnen solche Äußerungen zur Last gelegt werden.

Womöglich wird daher ein Teil der Materialsammlung, die nach Streichung “riskanter” Belege nur noch etwa 2.600 Belege enthält, nicht verwertet werden können.

Zieht man Doppelungen und irrelevante Belegstellen ab, sind die Verbotsunterlagen weit schmaler, als es scheint. Mitunter handelt es sich um wenig triftige Aussagen, die als “verbale Militanz” bezeichnet werden. Schwerer wiegt, dass der NPD in der derzeitigen Fassung auch Äußerungen von Personen zur Last gelegt werden, die teils keine Funktionäre mehr sind oder nie waren, teils die Partei verlassen haben, teils längst beerdigt worden sind. Für ein Verbot maßgeblich ist jedoch der aktuelle Zustand der Partei.

Schiefe Darstellungen

Inhaltlich betont die Materialsammlung die herausgehobene Bedeutung des sächsischen NPD-Landesverbandes, mehr als 50 hiesige Neonazis kommen zu Wort. Spitzenreiter ist Holger Apfel, der allein mehr als 100 Mal zitiert wird. Große Bedeutung wird ferner dem “Parteiideologen” Jürgen Gansel sowie dem stellvertretende Landeschef Maik Scheffler beigemessen. Würde die NPD verboten, hätten vor allem sie ihr das Genick gebrochen.

Scheffler ist Anführer des militanten Kameradschafts-Verbundes “Freies Netz”. Obwohl die Materialsammlung intensiv auf die Kooperation von NPD und Kameradschaften eingeht, bleibt der sächsische Verfassungsschutz, der entsprechende Belege zugeliefert hat, weiter bei der Behauptung, nach der das “Freie Netz” keine Vereinigung, sondern lediglich “eine Website” sei. Dadurch ergibt sich in der Materialsammlung eine über weite Strecken sachlich inadäquate oder gar falsche Darstellung. Obskur ist obendrein, dass in Ausführungen über Thüringen die Existenz des “Freien Netzes” eingestanden wird.

Angesichts der großen Zahl regelrechter Konstruktionsfehler und Sollbruchstellen ist ein erfolgreiches Verbotsverfahren auf dieser Grundlage nicht nur ungewiss, sondern unwahrscheinlich. Ungeklärt ist die Frage, warum es den federführenden Verfassungsschutz-Ämtern nicht gelingen wollte, eine wasserdichte Dokumentation vorzulegen. Das Resultat wird einzig der NPD zugute kommen.


Neugierig auf Hintergründe? GAMMA-Ausgabe 194 wird demnächst erhältlich und auf dieser Website abrufbar sein.

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