Etwa 1600 Neonazis sind gestern durch Dresden marschiert. Viel für einen Montagabend, aber wenig anlässlich des jährlichen Fackel- und “Trauermarsches” in der sächsischen Landeshauptstadt. Für den geschichtsrevisionistischen Event wurde intensiv mobilisiert, zumal der ergänzende “Großaufmarsch”, der eigentlich am kommenden Sonnabend stattfinden sollte, abgeblasen wurde. Dafür waren am 13. Februar mindestens 2000 Teilnehmer erwartet worden, doch deren Zahl stagnierte nur auf Vorjahresniveau. Enttäuscht diskutieren Neonazis nun abermals über ihre Aufmarschtaktiken.
Der Winz-Marsch von Dresden
Der eigentliche Trauermarsch, der 18 Uhr am Hauptbahnhof beginnen sollte, war nicht mehr als ein kurzer Spaziergang. Die Route führte über über die Ammon- und Falkenstraße zum Sternplatz und über die Güterbahnhofstraße wieder zurück zur Ammonstraße. Alles in allem war die Wegstrecke gerade mal einen Kilometer lang und in weniger als einer halben Stunde absolviert. Eine geplante Zwischenkundgebung am Sternplatz entfiel, die Rechten mussten außerdem auf einen Großteil der geplanten und ohnehin schon bescheiden bemessenen Route verzichten. Noch vor 21 Uhr war der Spuk, der abgesehen von Gegenprotesten unter Ausschluss der Öffentlichkeit ablief, wieder vorbei.
Organisiert wurde der Winz-Marsch vom “Aktionsbündnis gegen das Vergessen” (AgdV). Deren Kopf und Aufmarsch-Anmelder, der Dresdner Neonazi Maik Müller, sprach nachher von einem “würdigen Gedenken” und einer “guten Totenehrung”. Diese nahm NPD-Vorstandsmitglied Eckart Bräuniger in einem Redebeitrag während der Abschlusskundgebung vor. O-Ton: “Ihr gedenkt Schwulen, Juden und Drückebergern, aber nur das anständige Volk gedenkt den Deutschen.” Für Bräuniger seien “deutsche Generäle keine Kriegsverbrecher”. Laut AgdV sei der Plan, eine “angemessene Form des Gedenkens” zu praktizieren, damit “ein Stück weiter erfüllt” worden. Einige Trauerkränze wurden besonders “würdig” abgeladen – auf einer Lkw-Heckrampe.
Massiver Unmut in der Szene
Verzögert wurde der Aufmarsch zu Beginn, weil sich 200 Nazis zunächst nicht von der Polizei filzen lassen wollten. Außerdem fehlten Ordner, mehrfach wurden daher “Freiwillige” aufgerufen, die “nicht vorbestraft” sein sollen. In den vergangenen Jahren hatten Aktivisten des “Freien Netzes” (FN) das Gros des Ordnerdienstes gestellt. Diesmal koordinierte zwar FN-Chef und NPD-Vize-Landesvorsitzender Maik Scheffler die Aufstellung des Marsches, doch einige FN-Gruppen waren gar nicht erst angereist. Weitere Neonazi-Gruppierungen fehlten – aus Sorge um die Außenwirkung waren sie im Vorfeld zum Fernbleiben aufgefordert worden.
Auch bei den Aufmarsch-Teilnehmer gärte Unmut: Bis zu 300 Neonazis ließen sich zurückfallen und weigerten sich schließlich weiterzulaufen, offenbar aus Protest gegen die Routenführung und gegen die Organisatoren.
Die ersten Reaktionen in Szeneforen fallen entsprechend negativ aus. “Dresden ist gestern ein zweites mal untergegangen”, schreibt ein Neonazi. Ein anderer bedauert, dass es der Gegenseite gelungen sei, “unseren wirkungsmächtigsten und eindrucksvollsten Aufmarsch kaputtzubekommen”. Tatsächlich waren mehrere tausend AntifaschistInnen in das Aufmarschgebiet eingedrungen und blockierten dort Teile der vorgesehenen Route.
Frustration statt Aktivismus
Am Aufmarsch beteiligten sich auch NPD-Funktionäre, doch neuerdings verzichtete Holger Apfel auf eine eigene Rede. Schon seit Jahren wird angemahnt, den Trauermarsch nicht durch die Partei vereinnahmen zu lassen. In die Mobilisierung zum 13. Februar war die NPD erst kurzfristig wieder eingestiegen.
Erneut kreuzten NPD-Abgeordnete auf dem Dresdner Heidefriedhof auf. Diesmal allerdings nicht im Rahmen der städtischen Gedenkfeier. Laut einer Pressemitteilung habe die NPD darauf freiwillig “verzichtet”. Tatsächlich aber war das Ablegen von Kränzen aus der offiziellen Zeremonie gestrichen worden. Bereits am Montagvormittag waren zwei NPD-Kränze auf eigene Faust abgelegt, aber innerhalb kürzester Zeit wieder entfernt worden.
Auch im Rahmen der begleitenden “Aktionswoche” ist es bisher zu vergleichsweise wenigen, niedrigschwelligen Aktivitäten gekommen. Im vergangenen Jahr hatte das AgdV noch von “über 80 Aktionen in mehr als 40 Städten” gesprochen. Bislang einziger “Höhepunkt” der “Aktionswoche 2012” sind handgefertigte Menschenpuppen, die in Berlin aufgetaucht sind und Dresdner Bombenopfer darstellen sollen. Die Aktion geht zurück auf den “Nationalen Widerstand (NW) Berlin” um Sebastian Schmidtke. Dieser ist mittlerweile Vorsitzender des Berliner NPD-Verbandes. Parteifreunde macht sich Schmidtke mit dieser Aktion nicht, denn im Inneren der Puppen stecken augenscheinlich zerknüllte NPD-Werbeflyer.
Ausgefallen sind gestern auch Spontanaufmärsche. Obwohl das “Aktionsbündnis” in Dresden-Dobritz einen Schleusungspunkt für die Anreise mit Autos und Bussen vorbereitet hatte, leitete der Dresdner Nazi Ronny Thomas die Nazis schnellstmöglich zur S-Bahn in Richtung Hauptbahnhof, trotz des Wissens um die Blockade auf der Route.
Peinliche Zahlenspiele als Taktik-Ersatz
Das Wundenlecken begann noch vor Ort. Über Twitter verbeiteten Nazis wirre Angaben. Als offizielle Teilnehmerzahl wurde seitens der Veranstalter 1800 angegeben, auf Twitter wurde aber parallel von “über 2000 Kameraden” gesprochen. Im Twitter-Account des “Freien Netzes” war gar von utopischen 2400 Teilnehmern die Rede. Offenbar galt es, die eigene Gefolgschaft mit obskuren Erfolgsmeldungen bei Laune zu halten. Dazu gehörten auch Fake-Berichte über den angeblichen Einsatz von Wasserwerfern gegen AntifaschistInnen. Nicht zu Unrecht bemängeln Neonazis nun, nicht wahrheitsgemäß informiert worden zu sein.
Schwerer wiegt aber, dass sie schon im Vorfeld alle strategischen Druckmittel verloren hatten. Ursprünglich lagen rechte Anmeldungen für den 11. (Sonnabend), 13. (Montag) und 18. (kommenden Sonnabend) Februar vor. Das gab Rätsel auf, welche Aufmärsche überhaupt stattfinden würden, und drohte auch die Gegenproteste terminlich zu zerstreuen. Dazu kam es aber nicht. Maik Müller alias “Max Braun” beschwert sich nun im “Thiazi”-Forum:
“Ein Wort noch zum 18.2. der solte ja erst JETZT abgemeldet werden. Aber leider wurde das in Eigenregie von den Verantwortlichen der JLO anders entschieden. So wars halt schon vorher raus.”
Die Zusammenarbeit mit der “Jungen Landsmannschaft Ostdeutschland” (JLO), die in den Vorjahren regelmäßig Dresden-Märsche angemeldet hatte, haben Müller und Co. schon 2011 mit der Bemerkung quittiert, es handle sich um eine “innerlich tote Scheinorganisation”. Die JLO äußerte sich bis dato auch nicht zu den diesjährigen Dresden-Aktionen, sondern zog die bestehenden Anmeldungen stillschweigend zurück.
Doch auch unabhängig davon zeichnete sich im Vorfeld deutlich ab, dass ausschließlich zum 13. Februar mobilisiert wird. Die NPD etwa hat ihre nächste Parteivorstandssitzung ausgerechnet auf den 18. Februar gelegt. Am selben Tag laden “Junge Nationaldemokraten” (JN) und “Aktionsbündnis Leipzig” – ein Ableger des “Freien Netzes” – zu einer Faschingsfeier ins Leipziger Nazizentrum (Odermannstraße) ein. Ein Dresden-“Großaufmarsch” anno 2012 wurde offenbar nie ernsthaft erwogen.
Weniger ist mehr ist weniger…
Das passt zusammen mit den resignierten Schlüssen, die führende Neonazis bereits im vergangenen Jahr gezogen hatten. Maik Scheffler beispielsweise kündigte da schon an, dass es in Zukunft “keine nationalen Großdemonstrationen mehr geben” werde. Tatsächlich ist der Dresdner Großaufmarsch – einst tituliert als “größter Naziaufmarsch Europas” – nun Geschichte. Eine Entwicklung, die jedoch der NPD zupass kommt, weil sich die Partei insbesondere im Dresden-Kontext um ihre Außendarstellung sorgt.
Das wurde jüngst deutlich in einem Interview der Partezeitung “Deutsche Stimme” (Februar-Ausgabe) mit dem Aufmarsch-Organisator Maik Müller. Dieser – bislang ein NPD-Kritiker, nun plötzlich Fürsprecher einer “projektbezogenen Zusammenarbeit” – sieht weiterhin “das Mittel der Demonstration als festen und nicht wegzudenkenden Bestandteil unserer Agitation.” Doch Müller kritisiert auch ein Überangebot solcher Aufmärsche:
“Betrachtet man die Agenda der nationalen Opposition, so fällt auf, daß gemessen an der Zahl öffentlicher Versammlungen die Trauer- und Gedenkmärsche […] einen nicht unerheblichen Prozentsatz ausmachen. […] Daß jede dieser Veranstaltungen ihre Daseinsberechtigung hat, steht außerhalb jeder Diskussion. […] Wichtiger erscheint mir daher die Frage nach der Notwendigkeit einer Mobilisierung auf bundesweiter Ebene für jede dieser Veranstaltungen.”
Tatsächlich gehört der Geschichtsrevisionismus zu den wenigen dauerhaft zugkräftigen Mobilisierungs-Themen der deutschen Neonazi-Szene – neben Dresden fielen früher auch Wunsiedel und Halbe darunter. Indes sind solche Dauermobilisierungen teuer, das Presse-Echo schlecht und die Zugkraft in den eigenen Reihen bestenfalls stagnierend. Große Aufmärsche sind zwar immer auch eine Machtdemonstrationen. Aber diesen programmatischen “Kampf um die Straße” will sich die finanziell klamme und erneut mit Verbotsfoderungen konfrontierte NPD derzeit nicht leisten.
Schmaler Terminplan
Großaufmärsche kommen im ersten Quartal der “Jahresterminplanung” des Parteivorstandes folgerichtig auch gar nicht vor. Dort wird fast ausschließlich hingewiesen auf diverse “Trauermärsche”: neben Dresden betrifft das Chemnitz (5. März), Dessau (10. März) und Lübeck (31. März). Veranstalter sind jedes Mal “Freie”, nicht die NPD. Die will erst am 1. Mai wieder auf die Straße gehen, und zwar in Neumünster (Schleswig-Holstein) anlässlich des dortigen Landtagswahlkampfes. Auch in Bautzen soll an diesem Tag mit NPD-Beteiligung demonstriert werden, einen zentralen Aufmarsch wird es aber nicht geben.
In einem internen Mitgliederrundschreiben wird von solchen Planungen sogar abgeraten: “Verbände, welche beabsichtigen öffentliche Veranstaltungen durchzuführen, müssen diese im Vorfeld von der Bundesorganisationsleitung genehmigen lassen.” Ein entsprechender Beschluss erging beim vergangenen Bundesparteitag im November 2011.