“Parteifeindliche Ansichten”: Sachsen-NPD sucht den Feind in den eigenen Reihen

Der NPD-Kreisverband Landkreis Leipzig (vormals KV Muldental) ist ein Dauerproblem für die sächsische NPD. Ihm wird vorgeworfen, nach außen ohne Wirkung und innen ohne Nachwuchs zu arbeiten. Tatsächlich stehen Protagonisten des Kreisverbandes schon länger in Opposition zum Kurs des Parteichefs Holger Apfel und zur Politik des Landesverbandes. Damit sind die Leipziger Umland-Nazis nicht allein: Als Quertreiber und überdies nicht arbeitsfähig gelten auch die Kreisverbände Zwickau-Westsachsen, Chemnitz und Mittelsachsen.

Die Parteispitze versucht nun vehement, die Aufrührer in den eigenen Reihen loszuwerden. – Ein Hintergrundbericht der GAMMA-Redaktion.

Jüngste Blüte im Kampf gegen die innerparteiliche Opposition ist eine Distanzierung des Landesverbandes von gleich zwei ihrer vier Mandatsträger im Kreistag des Landkreises Leipzig. “Herr Tautermann sowie der parteilose Kreisrat Gerd Fritzsche vertreten ab sofort nicht mehr die Nationaldemokratische Partei Deutschlands”, teilten die Landesvorständler Holger Szymanski und Jürgen Gansel mit. Die NPD trage keine “Verantwortung für künftige Äußerungen und Handlungen dieser beiden Kreisräte” mehr, Sven Tautermann sei ferner aus der Partei ausgetreten.

Für Außenstehende kam das überraschend. Seit der letzten Kommunalwahl am 8. Juni 2008 saßen im Kreistag des Landkreises Leipzig gleich vier NPD-Abgeordnete: Wolfgang Schroth (Wurzen), Heiko Forweg (Machern), Sven Tautermann (Nerchau) und der parteilose Gerd Fritzsche (Borsdorf). Insgesamt hatte die NPD im ganzen Landkreis immerhin 26 Bewerber aufgestellt und damit das Partei-Soll erfüllt, möglichst flächendeckend anzutreten.

Folgenreicher Eklat im Kreistag

Doch glücklich wurde die NPD mit diesen Mandatsträgern nicht. Bei einer Kreistagssitzung in Naunhof am 14. April 2010 sind bei dem 40-jährigen Tautermann nach Augenzeugenberichten alle Sicherungen durchgebrannt. Infolge eines Wutanfalls und unter Ausstoßen diverser Beleidigungen wurde er des Saales verwiesen. Dem vorausgegangen war zum Tagesordnungspunkt “Landkreis-Haushalt” eine Rede Fritzsches – der ebenfalls ausfällig wurde. Unter den Zuschauern hatte zugleich der NPD-Kreisvorsitzende Marcus Müller Platz genommen. Gemeinsam mit zwei Kameraden ging Müller in der angezettelten Hektik auf andere BesucherInnen los, beschimpfte eine Frau gar als “Fotze”. Am Ende wurden die NPDler von der Polizei aus dem Saal geleitet.

Eine Mitteilung der NPD gab es zu diesem peinlichen Vorfall nicht. Internen Klärungsbedarf gab es schon, und zwar seitens der “Kommunalpolitischen Vereinigung” (KPV) der Partei. Die KPV betreut die Mandatsträger der NPD und sorgt sich auch um deren Außendarstellung. Im zuständigen NPD-Kreisverband Leipziger Land fand die KPV nach der chaotischen Kreistagssitzung aber kein Gehör. Als sich Anfang 2011 die örtliche NPD im Wurzener Stadtrat bei der Neuvergabe von Ausschuss-Sitzen benachteiligt fühlte, kam die Retourkutsche: KPV-Chef Hartmut Krien (Dresden) versagte ihnen die Schützenhilfe der Partei und juristische Beratung durch die KPV. Als Begründung schützte die KPV vor, dass Wurzener KPV-Mitglieder – darunter Stadtrats- und Kreistagsmitglied Schroth – mit ihren Beitragszahlungen massiv in Verzug geraten seien.

Auf dieses Machtspielchen hat sich Fritzsche sofort eingelassen. Er kritisierte per E-Mail die Arbeit Kriens mit heftigen Worten und wertete das Gebaren zweier Leipziger NPD-Stadtratsmitglieder, die von Krien zum Lügen aufgefordert worden waren, als “CDU-Arschkriecherei”. Krien empfahl daraufhin, einen Keil zwischen Fritzsche und Schroth zu treiben – offenbar galt der erste als der eigentliche Unruhestifter.

Und als solcher wurde Fritzsche hart angepackt. In seinem Rundschreiben vom 24. Januar 2011 behauptet Krien, sein Widersacher habe “ein Problem mit dem Alkohol”, benötige “eine Kur in einer Spezialklinik” und arbeite womöglich “schon für den Feind”. Fritzsche drohte Krien daraufhin mit einer Klage – und der Veröffentlichung brisanter Interna, “die nicht nur für Herrn Krien juristisch bedenklich sein könnten”. Daraufhin: Funkstille.

Zwischen Provokation und Boykott

Aber nicht lange. Überraschend trat der sächsische Rechtsaußen Fritzsche am 20. März 2011 als Einzelbewerber zur Bürgermeisterwahl im sachsen-anhaltischen Hohenmölsen an, seinem Geburtsort. Das hätte niemanden interessiert, wenn es dort nicht bereits einen bekannten NPD-Kandidaten gegeben hätte: Hans Püschel. Fritzsche hatte die eigene Kandidatur weder mit ihm, noch mit dem zuständigen NPD-KV Burgenlandkreis, noch mit Krien abgestimmt, der über solche Kandidaturen wacht. Die nötigen Unterstützungsunterschriften sicherte sich Fritzsche denn auch nicht bei Parteifreunden, sondern erschlich sie sich in einem örtlichen Karnevalsverein unter dem Vorwand, als “Unparteiischer” anzutreten. Bei der Wahl belegten Püschel und Fritzsche schließlich die hintersten Plätze.

Zu dem Zeitpunkt waren weder der NPD-KV Leipziger Land, noch die örtlichen Kreistagskameraden bereit, sich von Fritzsche zu distanzieren. Die Distanzierung kam von oben: zum Landesparteitag der sächsischen NPD am 9. Juli 2011 wurde Fritzsche schriftlich ausgeladen. Holger Apfel teilte ihm am Vortag per E-Mail mit, dass der Landesvorstand einstimmig ein Hausverbot ausgesprochen habe. Begründung: Fritzsche sei verdächtig, “die politische Arbeit zu sabotieren”, “Unfrieden in die Reihen der NPD hineinzutragen” und den Parteitag zur „Propagierung parteifeindlicher Ansichten“ missbrauchen zu wollen.

Der erzürnte Fritzsche hat dieses Schreiben umgehend öffentlich gemacht. Und in einer E-Mail an mehrere NPD-Funktionäre beschwerte er sich direkt vor Beginn des Parteitags über die “Falschheit, Unfähigkeit, Raffgier und Parteifeindlichkeit” Apfels. Ferner zitierte er aus einem Schreiben Tautermanns, der den Parteitag als “Agentenshow” bezeichnete. Und er verwies auf eine Mitteilung Wilko Winklers, damals Kreisvorsitzender des NPD-KV Mittelsachsen. Darin deutete Winkler an, den Parteitag zu boykottieren.

Auf diese Stellungnahmen geht der kürzliche Parteiaustritt Tautermanns ebenso zurück wie die Abwahl Winklers als Kreisvorsitzender. Seinen Posten hatte er im November 2011 abgegeben, offiziell “aus beruflichen Gründen”. Seitdem ist Winkler auch nicht mehr für die Partei in Erscheinung getreten, der KV Mittelsachsen vebreitet derzeit hauptsächlich Pressemitteilungen der Landesführung.

Details der Parteifehde zwischen Fritzsche und Krien waren im Herbst vergangenen Jahres u.a. durch GAMMA bereits öffentlich geworden. In der Leipziger Volkszeitung (LVZ) vom 8. Oktober 2011 bezeichnete das NPD-Landtagsmitglied Jürgen Gansel den geschassten Fritzsche daraufhin als “politischen Quartals-Irren” mit einem “fast psycho-pathologischen” Verhalten. Diese Distanzierung war auch deshalb nötig geworden, weil Fritzsche in seinen wütenden Aussendungen ausgerechnet über “gemeinsamen Schießübungen im Reservistenverband der Bundeswehr in Leipzig” berichtet hatte, an denen er gemeinsam mit dem verstorbenen NPD-Landtagsabgeordneten Winfried Petzold und dem Leipziger NPD-Chef Helmut Herrmann teilgenommen habe. Daraufhin wurden NPD-Mitglieder aus dem Reservistenverband ausgeschlossen, in Bremen und Hamburg wurden gar die Schusswaffen einiger Neonazis eingezogen.

Symptomatische Entwicklungen

Mit der Distanzierung vom Querulanten Fritzsche und dem de-facto-Ausschluss Tautermanns ist die Sache für die NPD noch lange nicht erledigt. Was zum einen aussteht, ist eine Stellungnahme von den Resten des betroffenen NPD-KV Leipziger Land. Doch der verfügt derzeit nicht einmal über eine Website. Dazu kommt, dass Krien auch für andere sächsische NPD-Verbände eine pesona non grata geworden ist, nachdem er 2008 und 2009 die Aufnahme einiger Mitglieder des “Freien Netzes” (FN) auf Wahllisten der NPD unterbunden hatte.

Damals betroffen war etwa der NPD-KV Zwickau. Der einstige stellvertretende Kreisvorsitzende Peter Klose saß bis 2009 sogar für die NPD im Landtag, bekam als politischer Hardliner aber von der eigenen Fraktion einen Maulkorb verpasst. Er arbeitete eng mit dem “Freien Netz” zusammen – und geriet auch deshalb in den Ruf, parteifeindliche Zwecke zu verfolgen. Am 20. April 2011 ist er schließlich aus der NPD ausgetreten, behielt aber die Website des Kreisverbandes. Von dem hört man seitdem wenig, denn ohne Kloses Mandat fehlt vor Ort Geld. Ein kurzzeitig bestehendes Abgeordnetenbüro in Zwickau wurde mit dem Ausscheiden Kloses aus dem Landtag wieder geschlossen.

Neben der Inaktivität in einigen Regionen, unter anderem auch beim NPD-KV Chemnitz, bricht zudem eine zweite Front wieder auf: Insbesondere die Aktivisten des “Freien Netzes” in Süd- und Südwestsachsen sind nach Gesten der Annäherung mittlerweile auf äußerste Distanz zur NPD gegangen, davon zeugen die jüngsten Anwürfe gegen den neuen NPD-Landesvorsitzenden Mario Löffler. Auch das “Freie Netz Erzgebirge” hat sich auf die Seite der NPD-Gegner geschlagen – diese Spaltung vermag der FN-Kopf Maik Scheffler, zugleich stellvertretender Landesvorsitzender, nicht mehr zu kitten. Derzeit kursiert an die Adresse parteifreier Aktivisten aus ganz Sachsen zwar eine versöhnliche NPD-Einladung zu einem Gespräch unter dem Motto “Frei und Partei” am 15. Februar im Raum Annaberg. Es ist bereits das zweite Konfliktgespräch dieser Art, mit der die NPD ihr rebellisches Umfeld wieder einfangen will.

Doch nicht weit entfernt ging der Krug schon zu Bruch: Der NPD-KV Mittelsachsen distanzierte sich Anfang des Jahres von einer Gruppierung namens „Nationalen Sozialisten Osterzgebirge“, die unter dem sinnigen Kürzel “NSO” auftritt. Die entsprechende Erklärung stammt vom “Vorstand der NPD Mittelsachsen”, breit gestreut wurde sie aber durch den Landesverband, Muskelspiele inklusive. In der Stellungnahme wird nämlich der NSO-Anführer, ein ehemaliges NPD-Mitglied, namentlich “geoutet”. Eine klare Botschaft an Partei-Kritiker und andere Quertreiber.

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