“Kernschmelze” bei der NPD

Bundesparteitag: Die NPD bleibt, was sie ist – ihr bleiben vor allem eine ausgewachsene Parteikrise und Holger Apfel als Vorsitzender erhalten. Der Showdown mit Herausforderer Udo Voigt wird ebenso vertagt wie die Insolvenz des “Deutsche Stimme”-Versandes. Derweil ist die Mitgliederzahl unter 5400 gesunken.

Wichtigstes Ergebnis des Parteitags am vergangenen Wochenende: Holger Apfel, NPD-Vorsitzender seit 2011, behält seinen Posten. Für ihn votierten 122 der 172 anwesenden Delegierten. 50 weitere waren eingeladen, aber nicht erschienen. Apfels einziger Gegenkandidat Uwe Meenen war chancenlos. Im Amt bleiben mit Udo Pastörs, Karl Richter und Frank Schwerdt auch die bisherigen Stellvertreter.

Außerordentlich waren jedoch die Umstände dieses 34. ordentlichen Bundesparteitags: Ursprünglich für den Herbst geplant, war die Versammlung auf Apfels eigenen Wunsch vorgezogen worden. Suchte die NPD Anfang des Jahres noch eine passende Halle für bis zu 800 Personen, fand sich für das erste Aprilwochenende nur ein Stück Brachland in Oberfranken, wo notdürftig ein Zelt errichtet werden sollte. Durch Bauarbeiten gab es zum Wunschtermin aber keine Zufahrtsmöglichkeit.

Der Nachholtermin am vergangenen Wochenende fand schließlich im “Historischen Landgasthof Zum Schwarzen Ochsen” in Sulzbach statt, einem beschaulichen Ortsteil Weinheims (nahe Mannheim) in Baden-Württemberg. Der Wirtsmann Gaßner beteuerte gegenüber der Presse, er habe sein Lokal aus wirtschaftlichen Gründen zur Verfügung gestellt. Seine “Standhaftigkeit” dankte ihm das braune Publikum mit Applaus.

Die “geschlossene Gesellschaft” brachte den üblichen “Ordnerdienst” mit, verzichtete jedoch auf parteieigenes Publikum. Die wenigen JournalistInnen, die rein durften, wurden am zweiten Tag auf Antrag des Berliner NPD-Chefs Sebastian Schmidtke wieder ausgeschlossen. Auch dafür spendeten die Delegierten Applaus.

Mitglieder laufen davon

Ansonsten hatte die Partei nicht viel zu feiern, bestätigte sich doch der Eindruck der letzten Monate: Der NPD laufen die Mitglieder davon. Dass einige Kreisverbände “nur noch auf dem Papier” existieren, ist schon eine feststehende Wendung geworden. Vor diesem Hintergrund warnte Meenen, stellvertretender Chef der Berliner NPD, es stehe eine “Kernschmelze der Partei” bevor. Nun würde bereits das Kernpotential “weglaufen”.

In Zahlen: Ende 2012 hatte die NPD noch 5371 Mitglieder. Das sind fast 2.000 weniger als noch vor fünf Jahren. Als die Partei damals im Zenit stand, rechnete Apfel noch vor, es würden bald und erst recht durch die Fusion mit der DVU locker 10.000 Parteikameraden sein. Seitdem geht es abwärts, in der eigenen Kartei wie auch bei Wahlen.

So wenige Anhänger wie heute hatte die NPD zuletzt, als ihr erstes Verbotsverfahren überstanden war. Das neue Verfahren steht der Partei erst noch bevor, der Bundesrat will seinen Antrag unerwartet schnell bereits im Juni beim Bundesverfassungsgericht einreichen. Bisher suggerierte die Parteipropaganda, die VerbotsbefürworterInnen würden sowieso einen Rückzieher machen.

Groß ist zugleich die Angst, dass die Konkurrenzpartei “Die Rechte” (DR) des Hamburger Neonazis Christian Worch gerade für das “Kernpersonal” attraktiver werden wird. Unmittelbar, nachdem Apfel im Amt bestätigt wurde, gaben einige NPD-Funktionäre bekannt, überzulaufen, und gründeten einen weiteren DR-Kreisverband in Nordrhein-Westfalen.

Ganz nah am Ruin

Hinzu kommen akute Finanzprobleme. Die NPD schuldet dem Bund 1,27 Millionen Euro, die zu Unrecht ausbezahlt wurden. Weil die Partei keine Tilgung forcierte, wurden laufende Zahlungen aus der staatlichen Parteienfinanzierung, von der die NPD hauptsächlich lebt, eingefroren. Schatzmeister Andreas Storr gab sich hier zuversichtlich: Mit dieser “ärgelichen Sache” werde man sich durch die Instanzen klagen. Nur weiß auch Storr nicht, wie lange das dauern wird.

Unabhängig davon wirtschaftet der parteieigene Verlag und Versand “Deutsche Stimme” in Riesa weiterhin am Rande des Bankrotts. Die Lage ist sogar noch aussichtsloser als gedacht: Udo Pastörs beklagte etwa, dass der Markt einfach nicht funktioniere; die Partei müsse immer mehr Kapital zuschießen, um eine Insolvenz abzuwenden. Dass so etwas drohe, hatte die Partei bislang immer dementiert.

Vorerst soll das Versandsortiment sukzessive abgebaut werden, unbedingt festhalten will die NPD wohl nur am “Kerngeschäft”, der parteieigenen Monatszeitung “Deutsche Stimme”. In der aktuellen DS-Druckausgabe dagegen hat der aktuelle DS-Geschäftsführer Peter Schreiber noch radebrechend wissen lassen, dass er “berechtigten Anlaß zur Hoffnung” auf einen Aufschwung habe. Beim Parteitag klang das völlig anders: Für das Versandgeschäft gibt es kein aussichtsreiches Sanierungskonzept.

Eine positive Bilanz konnte einzig der Parteinachwuchs “Junge Nationaldemokraten” (JN) vorweisen. In der Aussprache zu deren Rechenschaftsbericht setzte es aber auch Kritik: Viele JNler genössen die Vorzüge der NPD, ohne der Mutterpartei beizutreten oder sie zu unterstützen. Gelder seien veruntreut worden, einige der jungen Aktivisten würden gar “parteifeindlich” agieren, und so weiter.

Apfel-Gegner im Wartestand

Apropos parteifeindlich: Mit Spannung erwartet wurde der Parteitag auch wegen der “Freundeskreise Udo Voigt”, die der Apfel-Vorgänger seit Anfang des Jahres in Opposition zum aktuellen Parteivorsitzenden aufbaut. Doch Voigt war nicht vor Ort. Er habe “aus terminlichen Gründen” nicht kommen können, teilte er schriftlich mit. Er erwäge sowieso keine Kandidatur um den Parteivorsitz “zum jetzigen Zeitpunkt”.

In vorherigen Interviews hatte Voigt seine Kandidatur offen gelassen. Statt seiner ergriff Meenen beim Parteitag das Wort und trat, obgleich chancenlos, in der Wahl gegen Apfel an.

Voigt weiß durch seinen Testballon nun, dass mehr als zwei Drittel der Delegierten hinter Apfel stehen – Geschlossenheit sieht anders aus. Als sich Apfel 2011 gegen Voigt durchsetzte und Parteivorsitzender wurde, war der Ausgang zwar noch wesentlich knapper; damals waren aber auch viel mehr Delegierte gekommen.

Allerdings hat Voigt nun auch die Möglichkeit ausgeschlagen, seine Leute im Parteivorstand zu verankern, der mit dem Parteipräsidium so genannter “Amtsleiter” eine Doppelspitze bildet. Dort hätten die “Freundeskreise” eine Art innerparteilicher Opposition üben können. Voigt teilte allerdings mit, dass er für eine Mitarbeit unter Apfel prinzipiell nicht zu haben sei. Diese Frage nach dem Alles oder Nichts wird er erst beim nächsten regulären Parteitag in zwei Jahren wieder aufwerfen können.

Apfel verstößt Kameradschafter

Zwischendrin wird sich aber einiges bewegen, spätestens bei der sächsischen Landtagswahl 2014 wird es bereits für Apfel um Alles oder Nichts gehen. Er dirigiert die NPD schon jetzt mit einem entsprechenden Rigorismus. Thomas Wulff (“Steiner”) verbreitete unmittelbar vor Beginn des Parteitags eine regelrechte Abrechnung mit Apfel; der reagierte auf dem Parteitag zornig über diese “Schmähschrift”: Wulff sei “kein Kamerad mehr. Er sollte lieber die Partei verlassen, jetzt und sofort.”

Die Härte ist symbolischer Art, aber womöglich von großer Tragweite. Wulff war nämlich für die NPD lange Zeit ein wichtiges Bindeglied zu den Kameradschaften. Das gilt auch für Thorsten Heise, der sich schon länger zu Voigt bekennt. Kürzlich war Heise schon untersagt worden, bei einem Aufmarsch von “Die Rechte” als Redner aufzutreten. Der Parteitag hat diese “Anweisung” nicht gekippt. Nun ist von “Unvereinbartkeitsbeschlüssen” die Rede.

In der Pressemitteilung der NPD zum Parteitag wird das übrigens so ausgedrückt: “Auch kritische Fragen konnten konstruktiv erörtert werden.” Gar nicht erörtert (jedenfalls im presseöffentlichen Teil der Versammlung) wurde dagegen die V-Mann-Problematik. Jüngster Fall ist der aktuelle sächsische NPD-Vorsitzende Holger Szymanski (Gamma berichtete wiederholt). Um das Thema machen selbst die Apfel-Kritiker einen Bogen. Nicht auszuschließen aber, dass die Causa beim kommenden Verbotsverfahren wieder auf den Tisch kommt.

“Unter Finanzierungsvorbehalt”

Bis es so weit ist, bleibt die NPD um Routine bemüht und gab bereits einen Ausblick auf die Bundestagswahlen in diesem und die Europawahl im kommenden Jahr. Geplant ist eine erneute Kundgebungs-Tour (“Deutschlandfahrt”) ab August. Eine regelrechte “Materialschlacht” wird sich die Partei aber nicht (mehr) leisten können – denn alle Wahlkampfmaßnahmen, so wurde immer wieder betont, stünden unter dem “Finanzierungsvorbehalt”.

Es scheint, als fürchte die Partei den Ruin mehr als ein Verbot. Und nun, da die NPD passenderweise die Agitation gegen den Euro zur Wahlkampfsache machen will, um bei mäßigem Abschneiden wenigstens in der staatlichen Parteifinanzierung zu bleiben, hat ihr die neue Rechtspopulisten-Truppe “Alternative für Deutschland” (AfD) auch noch das designierte Thema weggeschnappt. Zu erwarten ist, dass die AfD mit ihrem antieuropäischen Standort-Chauvinismus auch NPD-Wähler abwerben wird.

Apfel insistiert hier auf die Kernkompetenzen seiner Leute und sagt, als ob das wirklich jemand in Frage gestellt hätte, die NPD stehe zum “Abstammungsprinzip”. Der begeisterte Applaus in Weinheim steht im groben Missverhältnis zu den strategischen Optionen, die der Partei wirklich bleiben. Einer wartet nun entspannt darauf, dass sich das weit genug rumspricht, bis er sich erneut als Alternativ-Führer in Erinnerung bringen wird: Udo Voigt. “Der nächste Parteitag kommt bestimmt”, frohlockt er schon.

Das Ränkespiel kann aber über einen Punkt nicht täuschen: Die NPD bleibt sich gleich, das heißt, sie bleibt gefährlich.

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