Apfel-Avantgarde will die Parteiführung

“Der NPD-Landesverband Sachsen stellt sich vor”: eine kritische Lektüre der GAMMA-Redaktion

Die sächsische NPD hat eine bemerkenswerte Imagebroschüre herausgegeben. Unter dem Titel “Heimat bewahren, Freiheit erkämpfen” stellt sich die Partei auf 32 Seiten “mit all ihren Untergliederungen, der Landtagsfraktion und den kommunalen Mandatsträgern einmal in zusammengefasster Form” vor. Das seit Anfang Juli erhältliche Heft gibt detaillierte Auskünfte über die Struktur der Nazi-Partei und ihr politisches Umfeld – und ergeht sich kapitelweise in abgehobenem Selbstlob und idealistischem Wunschdenken. “Seriöse Radikalität” hat Holger Apfel das beim jüngsten NPD-Landesparteitag am 9. Juli in Auerbach (Vogtland Erzgebirge) genannt, wo er als Landesvorsitzender wiedergewählt worden ist.

“Einheit vor Klarheit”

Dieser neueste Versuch, die eigene Geschichte zu schreiben, dient vor allem der Profilierung des derzeitigen Landesvorstandes vor dem Hintergrund kommender Personalverschiebungen innerhalb der Bundespartei. Deshalb ist Apfel auch Protagonist in der Broschüre (sein Foto kommt auf jeder vierten Seite vor), die außerdem zu einem auffälligen Zeitpunkt erschienen ist. Apfel bekräftigt etwa, der von ihm geführte Landesverband habe “in vieler Hinsicht eine Vorreiterrolle nationaler Politik nicht nur in Sachsen, sondern für ganz Deutschland übernommen”.

Apfel geht es aber nicht nur um die “Vorreiterrolle” auf dem Papier: Derzeit schickt er sich an, den nach wie vor umstrittenen Bundeschef Udo Voigt zu stürzen.

Bis zum Bundesparteitag am 1. Oktober muss Apfel die Basis von sich überzeugen, und die Broschüre stärkt sein Image als radikaler und vor allem erfolgreicher Polit-Stratege. Allerdings ist der Text derart geglättet worden, dass er Widersprüche der politischen Arbeit der NPD nicht einfach geradebiegt, sondern gleich leugnet. Zudem spielt das politische Programm der Partei keine Rolle, bisherige Dauerbrenner wie Hartz IV, Mittelstand, “Überfremdung” und “Kinderschutz” werden so gut wie gar nicht mehr erwähnt. An ihre Stelle tritt in Apfels Vorwort, noch abstrakter, der “Erhalt unserer nationalen Solidar- und Schicksalsgemeinschaft”.

Um die politische Linie, die bisher das Verhältnis von Bundespartei und Landesverband getrübt hat, geht es diesmal also nicht. Der gesamte Text bekräftigt personelle Einheit, nicht die politische Klarheit.

Recht hat, wer die Leute hat: Aus der Innensicht der Partei betrachtet ist das der springende Punkt. Tatsächlich betreibt die sächsische NPD einen der wenigen noch “funktionierenden” und einen der aktivsten Landesverbände. Sollte der Partei im September dieses Jahres der Wiedereinzug in den Schweriner Landtag misslingen, worauf aktuelle Umfragen ausdrücklich hindeuten, wäre Sachsen auch die letzte Region, in der die NPD noch parlamentarische Bedeutung hat. Sachsen zur wichtigsten Parteibastion aufzuwerten ist zum einen entscheidend hinsichtlich der staatlichen Parteienfinanzierung, die fast die Hälfte des gesamten NPD-Budgets ausmacht. Zum anderen kann sich Apfel damit selbst aufwerten, wenn der Erfolg des “sächsischen Weges” als sein Erfolg verkauft wird. Genau das erledigt die Broschüre.

Propaganda und Wirklichkeit

Die Broschüre erledigt sich aber auch selbst, weil nicht nur Zweifelhaftes, sondern objektiv Unwahres drinsteht, wenn der “sächsische Weg” als “Erfolgsgeschichte” dargestellt wird. Der Weg habe jedenfalls darin gemündet, die NPD heute “in allen Volksschichten verankert” zu haben:

Mit dem „sächsischen Weg“ hat der Landesverband einen Kurs eingeschlagen, der die Partei seit einigen Jahren so gar nicht mehr dem Zerrbild entsprechen läßt, das die Medien und die verlogenen Systemparteien gern von ihr konservieren möchten. Die NPD ist heute eine Partei der Mitte mit Mitgliedern und Sympathiesanten [sic!] aus allen Schichten des Volkes

Es mag stimmen, dass sich die NPD gerade in Sachsen eine Stammwählerschaft erschlossen und sich damit ein stabiles Wählerpotential verschafft hat. In Sachsen sind das schätzungsweise 100.000 Personen – so viele Stimmen (5,2 Prozent) haben 2009 ein zweites Mal der NPD in den Landtag verholfen. Allerdings waren es vier Jahre zuvor noch fast doppelt so viele Stimmen (190.000 WählerInnen bzw. 9,2 Prozent). Der NPD-Schnitt in Großstädten wie Leipzig und Dresden unterscheidet sich dabei nicht von anderen ostdeutschen Städten. Und der Gewinn von Kommunalmandaten – seit den Kommunalwahlen 2009 ist die NPD in allen sächsischen Kommunalparlamenten vertreten – bezeugt auch keine wachsende Verankerung, sondern ist Folge flächendeckender NPD-Kandidaturen.

Dafür das Personal zu haben ist etwas anderes, als mit diesem Personal Erfolg zu haben oder es ständig vermehren zu können. Die Behauptung, Mitglieder und Sympathisanten “aus allen Schichten des Volkes” um sich geschart zu haben, ist deswegen auch so ausgewählt bescheiden: die Behauptung dürfte für jede politische Strömung zutreffen. Aus Gründen, die mithin nicht die NPD zu verantworten hat, sind die Zustimmungswerte zu ihren Positionen in Ostdeutschland allgemein und weiten Teilen Sachsens insbesondere zwar vergleichsweise hoch. Doch laut der jüngsten Wahlumfrage hätte die NPD bei der nächsten Landtagswahl – die erst 2014 ansteht – nur noch drei Prozent der Stimmen sicher. Zu Höhenflügen gibt das der sächsischen NPD wirklich keinen Anlass.

(Anmerkung: Die sächsische NPD geht laut einer Pressemitteilung vom 29. Juni allerdings davon aus, dass sie den Wiedereinzug laut derselben Umfrage “ganz klar geschafft” hätte – wenn nur die entsprechenden Daten nicht zu ihren Ungunsten manipuliert worden seien. Dass sie manipuliert worden seien, entnahm die NPD der renommierten Statistikfachzeitschrift “Dresdner Morgenpost”.)

Zumal ihre Mobilisierungsfähigkeit ebenfalls geschrumpft ist: Am mittlerweile siebenten Pressefest des parteieigenen “Deutsche Stimme”-Verlags Anfang Juli im Landkreis Görlitz haben an zwei Tagen insgesamt knapp 2000 Menschen teilgenommen. Vor fünf Jahren brachte das gleiche Event an einem Tag noch 7000 Anhänger auf die Beine. Auch die Mobilisierungsfähigkeit zu Aufmärschen mit NPD-Beteiligung ist zurückgegangen, im Falle der jährlichen Dresden-Aufmärsche, die von der NPD unterstützt und von der Landtagsfraktion flankiert werden, sogar eingebrochen von 6400 im Jahr 2009 auf 4.300 im vergangenen Februar, wiederum verteilt auf mittlerweile zwei Tage.

Eine Partei und ihr Ausschuss

Solche Zahlen lassen freilich Raum für auch für gegenteilige Interpretationen zugunsten der NPD. Und eine eindeutige Interpretation liefert sie auch zur Geschichte ihres Landesverbandes:

Unter der Führung von Winfried Petzold – heute Ehrenvorsitzender – gelang es der NPD, sich mit flächendeckender politischer Arbeit und identitätsstiftenden Veranstaltungen zum parteipolitischen Kristallisationskern des volkstreuen Lagers zu entwickeln. Großkundgebungen zum Tag der deutschen Arbeit in Leipzig mit über 7000 Teilnehmern vor dem Völkerschlachtdenkmal, […] oder auch die tatkräftige Unterstützung der jährlich immer größer werdenden Trauermärsche der Jungen Landsmannschaft in Dresden lenkten zunehmend das Interesse der Medien deutschlandweit auf den sächsischen Landesverband.

Dass die “Trauermärsche” wachsen, ist durch offizielle Zahlen widerlegt. Eine ausgesprochene Affinität zu Aufmärschen hat die sächsische NPD sowieso nicht – die Landtagsfraktion hat seit 2004 wiederholt die sächsischen Kreisverbände aufgefordert, auf Aufmärsche zu verzichten, denn schlechte Presse gefährde die Partei. Schlechte Presse wie etwa bei der besagten “Großkundgebung” am 1. Mai 1998 in Leipzig, die unter heftigen Protesten stattfand und um den Preis, die kommenden Jahre von öffentlichen Auftritten in der Messestadt komplett abzusehen. Identitätsstiftung sieht anders aus.

Der sächsische Landesverband hatte seinen Zenit ohnehin Ende der 90er Jahre erreicht, jedenfalls was seine Gefolgschaft angeht, die damals die Tausendermarke knackte und heute bei knapp unter 800 liegen soll. Maßgeblicher als der erwähnte Petzold hatte daran der Leipziger Jürgen Schön einen Anteil, der Anfang der 1990 Landesvorsitzender wurde, ab 1992 als stellvertretender Landesvorsitzender agierte und von 1996 bis 2004 sogar als stellvertretender Parteivorsitzender amtierte. Lange Zeit galt er als “starker Mann” im Landesverband. Doch 2005 ist Schön – kurz zuvor erst in den Landtag eingezogen – von Apfel zum Verlassen der Partei gedrängt worden. Genau wie lange Zeit Winfried Petzold übte auch Jürgen Schön Kritik am Partei-Star Holger Apfel. Der war von Bundeschef Udo Voigt als Spitzenkandidat nach Sachsen entsandt worden und hat den Landesverband mittlerweile übernommen.

Die herausragende Rolle Petzolds in der Parteigeschichte ist die, sich damit abgefunden zu haben – er hat dafür den funktionslosen Ehrenvorsitz des Landesverbandes erhalten. Schön und andere, die zum Beispiel die Zusammenarbeit mit “Kameradschaften” kritisierten, haben der Partei dagegen den Rücken gekehrt und tauchen in ihrer offiziellen Geschichte nicht auf, was sich mit ihrer bruchlosen Darstellung auch nicht vertrüge.

Das gilt auch für gescheiterte Experimente wie die “Dresdner Schule”, die 2006 bei einer NPD-Pressekonferenz im Landtag großspurig als rechter think tank ausgerufen wurde. Er ist sang- und klanglos verschwunden, falls er nicht von Anfang an eine Ente war. Die seit Ende 2005 vierteljährlich herausgegeben Zeitschrift “hier und jetzt”, in der vor allem Ideen der “Neuen Rechten” und von “Nationalrevolutionären” aufgegriffen wurden, ruht seit Ende 2010. Auch sein Herausgeber, das “Bildungswerk für Heimat & nationale Identität”, macht keine großen Sprünge: Der Verein war 2005 als parteinahe Stiftung gegründet werden, beschränkt sich derzeit aber auf interne “Jugendseminare”.

Wo gehobelt wird, rollen Rubel und Köpfe

Weil Eigenlob stinkt, legt es die NPD sonstwem in den Mund:

Selbst der politische Gegner kam nicht umhin, der Fraktion professionelles Auftreten und eine exzellente Beherrschung der parlamentarischen Instrumentarien zu attestieren.”

Die “Beherrschung der parlamentarischen Instrumentarien” kann man der NPD schon zugestehen, und ob dieser Kompetenz erreichten die Landesregierung bereits Anfragen mit Titeln wie “Die Existenz des deutschen Gartenbaus sichern – dem Prüfverfahren der EU-Kommission wegen Steuerbefreiung für den Gartenbau entgegentreten!” Für “Exzellenz” im Sinne von Qualität spricht das nicht automatisch, während “professionelles Auftreten” auch die routinierten Tabubrüche (“Bombenholocaust”) bezeichnen kann, die sich NPD-Abgeordnete regelmäßig leisten, wenn sie ihr Rederecht im Landtag wahrnehmen, um mediale Aufmerksamkeitsschwellen zu überwinden. Kalkulierte Skandale sind Teil der NPD-Arbeit im Landtag, auch wenn das nachträglich als “sachorientierte Oppositionspolitik” etikettiert wird.

Es gibt noch eine zweite Sorte Skandale, das sind die ungewollten – von denen ebenso nichts in der Broschüre vorkommt. Durch eine ganze Reihe von Zerwürfnissen ist die NPD-Landtagsfraktion immens geschwächt worden: Neben Jürgen Schön hat die NPD 2005 auch Mirko Schmidt und Klaus Baier eingebüßt. Grund waren politische Differenzen zu Apfel – während öffentlich behauptet wurde, die Dissidenten seien “Verräter” und würden für den Verfassungsschutz arbeiten. 2006 wurde Klaus-Jürgen Menzel offiziell wegen “finanzieller Unregelmäßigkeiten” aus der NPD-Fraktion ausgeschlossen – kurz nachdem er vor einer laufenden Kamera über sich gesagt hatte, er “stehe zu Adolf Hitler”. Und nochmals kurz darauf wurde der fraktionslose Klaus-Jürgen Menzel bei einer Kontrolle im Landtag mit einer Pistole erwischt und erhielt Hausverbot, 2007 trat er aus der NPD aus. Den Abgeordneten Matthias Paul aus Meißen verlor die NPD 2006, weil gegen ihn wegen des Erwerbs und Besitzes von Kinderpornografie ermittelt wurde, Razzia im Landtagsbüro inklusive. Der Nachrücker Peter Klose wurde 2010 wegen Verwendens von Kennzeichen verfassungswidriger Organisationen verurteilt.

Bezogen auf beide Legislaturperioden hat die NPD seit 2004 ein Drittel ihrer sächsischen Landtagsabgeordneten verloren. Im Vergleich zu ihren anfänglich zwölf Mandaten hält sie aktuell noch acht. Gegen die besteht im übrigen der Verdacht, staatliche Gelder, die für ihre Fraktion gedacht waren, dem für die NPD letztlich gescheiterten Wahlkampf in Sachsen-Anhalt zugeleitet zu haben. Die Verwendung von Fraktionsmitteln für die Parteiarbeit ist verboten und ein Fall für den Landesrechnungshof. Das gilt auch für dubiose Mitarbeiterjobs, die über die Fraktion vergeben worden sind und ebenfalls vom Freistaat Sachsen finanziert werden. Mehrere dieser Mitarbeiter haben es jedenfalls geschafft, den Landtag so gut wie nie zu betreten. So landen Staatsgelder zwar mithilfe “parlamentarischer Instrumentarien”, aber dennoch illegal in den NPD-Kreisverbänden.

Kommunalpolitische Experimente

Die NPD spricht von einem gelungenen “Strukturaufbau ‘von unten nach oben'”, wenn sie die Arbeit ihrer Funktionäre in Kommunalparlamenten lobt. Seit der Kommunalwahl 2009 hält die Partei mehr als 60 Mandate unterhalb der Landesebene, von Gemeindegremien über Stadträte bis zu Kreistagen. Mit diesen Posten geht es der NPD nach eigenen Worten um folgendes:

Nationale Fundamentalopposition und pragmatisch-konstruktive Oppositionspolitik finden […] in einem Spannungsfeld statt, in dem Kreisräte, Stadt- und Gemeinderäte der NPD arbeiten und unter den kritischen Augen der Bevölkerung bestehen müssen. Der nationale Kommunalpolitiker hat daher die Aufgabe, konkrete Verbesserungsmöglichkeiten und Erleichterungen für den Bürger vor Ort aufzuzeigen.

Doch diese Arbeit ist mitnichten “von unten nach oben” organisiert, sondern wird seit 2003 durch die “Kommunalpolitischen Vereinigung” (KPV) zentral koordiniert. Betreut wird die KPV vom Dresdner Hartmut Krien, der in der Broschüre ausführlich gerühmt wird. Allerdings vertritt Krien ganz andere Zielvorstellungen, als im Heft vorgespiegelt werden. In einer E-Mail vom Januar 2011 erläuterte er, die kommunale Arbeit der NPD sei “rein taktisch ausgelegt, solange bis der Staat von alleine […] kollabiert”. Bezogen auf den Leipziger Stadtrat, in dem zwei NPD-Vertreter sitzen, schreibt Krien weiter:

Die NPD sitzt nicht im Leipziger Stadtrat um dem Oberbürgermeister zu helfen […] Feind ist Feind […] Unsere Aufgabe ist es die Kreise des Herrn Jung [Leipzigs Oberbürgermeister] zu stören, mit denen er das Volk zu besänftigen versucht, damit das Kapital freie Hand hat. Das ist nämlich das arbeitsteilige Grundprinzip der sogenannten Demokratie, dem wir uns entgegenstemmen.

“Konkrete Verbesserungsmöglichkeiten”, “Erleichterungen für den Bürger vor Ort” und “pragmatisch-konstruktive Oppositionspolitik” – all das findet sich in den Vorstellungen der NPD und ihrer Praxis nicht wieder. Ebenfalls am Beispiel der Leipziger NPD-Stadträte lässt sich zeigen, dass über die KPV sogar das konkrete Abstimmverhalten der parteieigenen Mandatare vorgegeben wird, wofür das Wort “Befehl” genutzt wurde. Kein Wunder, dass der Schauplatz Leipzig in der Broschüre einfach ausgelassen wurde. Trotz der hier errungenen Mandate ist die Arbeit der NPD in der Messestadt praktisch bedeutungslos.

Ebenso wie in weiteren Orten, in denen die rechte Kommunalpolitik ein schlechtes Bild abgibt: In einigen Ratsgremien erscheinen die NPD-Abgeordneten bei regelmäßigen Sitzungen überhaupt nicht oder glänzen mit fortwährender Teilnahms- oder Tatenlosigkeit. Die Versuche der NPD, über die KPV in die Vor-Ort-Arbeit hineinzuregieren, sorgt überdies für Unmut: Wiederum in einem E-Mail-Wechsel hat Gerd Fritzsche, der zwar kein Parteibuch hat, aber für die NPD im Kreisrat des Landkreises Leipzig sitzt, Krien für dessen herrischen “Führungsstil” scharf angegriffen. Der wehrte sich mit dem Gegenvorwurf, Fritzsche habe ein “Alkoholproblem oder arbeitet schon für den Feind”. Konsequenz: Fritzsche wurde vom jüngsten NPD-Landesparteitag offiziell ausgeladen.

Obwohl Krien schon angekündigt hat, mit “seinen” Mandatsträgern “nach einem Kollaps des Systems gut ausgebildet und vorbereitet das Ruder zu übernehmen”, bäckt er selbst in Wirklichkeit viel kleinere Brötchen: Er sitzt für die NPD zwar im Dresdner Stadtrat, wo die Partei allerdings 2009 ihren Fraktionsstatus als so genanntes “Nationales Bündnis Dresden” verloren hat. Mittlerweile wurde das “Nationale Bündnis” aufgelöst. Ursprünglich sollten damit auch Abgeordnete ohne NPD-Mitgliedschaft an die Partei gebunden werden.

Auf Grundlage dieses “Erfolgsrezepts” wurde 2003 auf Geheiß des Landesvorstandes sogar ein “Nationales Bündnis Deutschland” ausgerufen – die Broschüre spricht rückblickend von einer “beispiellosen Unterstützungswelle für das neue überparteiliche Projekt in ganz Deutschland.” Tatsächlich hat das “Nationale Bündnis Deutschland” nie wieder von sich reden gemacht. Es ist, wie andere parlamentarische Experimente der NPD, schon im Ansatz gescheitert.

Schachern mit dem Nachwuchs

Ein weiterer schillernder Ansatz ist die Zusammenarbeit der sächsischen NPD mit Kameradschaftsgruppen, deren Anhänger oft keine NPD-Mitglieder sind und sich häufig NPD-kritisch äußern. Mittlerweile wurden einige “Freie Kräfte” in die Parteiarbeit eingebunden:

Aus Sachsen entspringt das sogenannte Freie Netz Mitteldeutschland, ein Vernetzungsportal aller nationalen Kräfte, welche unabhängig von konträren Ansichten ihrer politischen Gesamtausrichtung, das Gemeinsame suchen um effektiv und zielgenau auf diesen Ebenen zusammenzuarbeiten. Diese gleiche Ebene wurde vor etwas mehr als zwei Jahren auch mit der NPD gefunden, was Sachsen heute zu einem erfolgreichen Modell des Projektes einer Symbiose zwischen Nationaldemokraten und Nationalrevolutionären macht.

Das “erfolgreiche Modell” war eine schwere Geburt: Das “Freie Netz” wurde 2006 als ausdrückliches Gegenprojekt zur NPD gegründet, das mehrfach zum Wahlboykott aufgerufen und der NPD den Vorwurf zurückgegeben hat, den sie sonst allen anderen macht: sie sei eine unwählbare “Systempartei”. Die Bündnisarbeit mit der NPD funktionierte über Jahre hinweg gar nicht: Mehrmals ließ der Landesvorstand gemeinsame Veranstaltungen im letzten Moment platzen, so auch einen geplanten Marsch durch die Leipziger City im März 2008, bei dem der “Schulterschluss” öffentlich zelebriert werden sollte.

Der Schulterschluss kam einige Monate später und war kein “Kampf um die Straße” mehr, sondern ein Schachern um Posten. Protagonisten der “Freien Kräfte” erhielten Jobs bei der NPD-Landtagsfraktion, Parteiämter und Listenplätze bei Wahlen. Die Kameradschafter begriffen das als Vergütung ihres tatkräftigen Einsatzes als Wahlhelfer und Saalschutz. Im Auftrag des Landesvorstandes entstand in Regie des “Freien Netzes” ein “Ordnungsdienst” zum Schutz von Partei-Events und in Leipziger dürfen die “Freien Kräfte” seit Ende 2008 ein “Bürgerbüro” des NPD-Abgeordneten Winfried Petzold nutzen. Örtliche Kader wie Tommy Naumann haben sogar den Partei-Nachwuchsverband “Junge Nationaldemokraten” (JN) übernommen – und erhielten so eine legale Organisation. Die wird im Falle der angegliederten “Interessengemeinschaft Fahrt & Lager” übrigens auch von Aktivisten der verbotenen “Heimattreuen deutschen Jugend” (HDJ) als Unterschlupf genutzt.

Immer wieder wird deutlich, dass die Liebeshochzeit von NPD und “Freien Kräften” höchstens eine Zweckehe ist. Sie ist zum einen innerparteilich umstritten, weil sie den aufmüpfigen Nachwuchs bündelt. Und der liegt zum anderen nicht immer auf Parteilinie. Tommy Naumann, Vorsitzender der sächsischen JN, sagte vor einem Jahr beim “JN-Sachsentag” in Niesky, dass “ein unübersichtliches Netz von organisationsgebundenen und Freien Kräften” wichtiger als die Partei sei. Im übrigen machten er und seine Kumpanen eine weitere Unterstützung der NPD davon abhängig, dass sie von einer Wahl- zur “Weltanschauungspartei” im NSDAP-Stil werde.

Apfels Gerede von “seriöser Radikalität” beschreibt genau diesen Weg zur beabsichtigten “Symbiose zwischen Nationaldemokraten und Nationalrevolutionären”, die vor einigen Jahren noch undenkbar gewesen wäre und vom Bundesvorstand mit Hinweis auf das festgeschriebene Parteiprogramm mehrfach zurückgewiesen worden ist. Eine Wahl bezüglich der “nationalrevolutionären” Bündnispartner hat Apfel indes nicht, denn ohne “Freie Kräfte” und JN kommt der ansonsten überalterte Landesverband personell nicht aus. Auch deshalb ist beispielsweise der Delitzscher Maik Scheffler als “geistiger Vater des Freien Netzes” für die Kooperationsbereitschaft seiner Leute erst kürzlich mit einer Anstellung bei der Landtagsfraktion honoriert worden. Zudem kontrollieren Kader des “Freien Netzes” bereits mehrere sächsische Kreisverbände – die sich prompt pro Apfel positioniert haben. Im Gegenzug sind Kameradschafts-Schlagwörter wie “Volkstod” in die Parteiprogrammatik eingeflossen, um der Forderung nach einer “Weltanschauungspartei” Rechnung zu tragen.

Ideologisches Rüsten für den Endkampf

Während in der Broschüre diese Programmatik und die “politische Linie” (“sächsischer Weg”) des Landesverbandes völlig unkenntlich gemacht wurde, ist doch abzusehen, in welchen Koordinaten sich das Denken seiner Protagonisten bewegt. So heißt es in Apfels Vorwort:

Und wenn erst die Wirtschaftskrise, der Zusammenbruch des mit vielen hundert Milliarden gestützten Bankensystems und des Euro mit voller Wucht auf den Arbeitsmarkt und die sozialen Sicherungssysteme durchschlägt – dann kommt die Stunde der Nationalen…

…was zu beweisen wäre – die Erwartung einer nahenden Endkrise des “Systems” wird nämlich seit Jahren bei jeder Gelegenheit formuliert. Im Programm für die Landtagswahl 2009 hieß es beispielsweise, die “Finanz- und Wirtschaftskrise, die im Herbst 2007 von den Finanzmärkten ihren Ausgang genommen und nun weltweit auch die Realwirtschaft erreicht hat, wird sich zu einer Systemkrise auswachsen. […] Die etablierten Parteien, das linke Medien- und Meinungskartell und die institutionalisierten gesellschaftlichen Gruppen sind für die Ergebnisse dieser Politik verantwortlich und müssen deshalb abtreten.” Derselbe Ton wurde Anfang des Jahres angeschlagen, um gegen die so genannte Arbeitsnehmerfreizügigkeit (“Fremdarbeiterinvasion”) zu polemisieren. Auch zur Landtagswahl 2004 wurde der baldige “Zusammenbruch” durch Hartz IV und “Überfremdung” in Aussicht gestellt.

Auch wenn diese Prognosen offenbar falsch sind, bleiben sie ein ideologisch notwendiger Fixpunkt für die “Radikalität”, die sich Apfel und Co. selbst zuschreiben: Wenn der “Zusammenbruch” für unvermeidlich gehalten wird, dann erscheint auch die Politik der sächsischen NPD als folgerichtig, sofern sie immer wieder auf diesen sowieso anstehenden “Systemwechsel” optiert. Die Broschüre beruht in Gänze auf dem Eigenlob des Landesverbandes, bis zu diesem Finale eine kontinuierliche politische Arbeit zu leisten – auch wenn das Ergebnis noch gar nicht bekannt und, entgegen den Erwartungen der NPD, nicht ansatzweise eingetreten ist. Das erklärt aber umgekehrt, warum nicht immer erfolgsträchtige Zwischenergebnisse, Brüche und Diskontinuitäten in der Broschüre keine Rolle spielen, sondern zielsicher geleugnet werden – alles andere würde das “unvermeidliche” Ziel und damit das Programm der NPD in Frage stellen.

* * *

Für eine Kritik der neonazistischen NPD ist es daher erstens entscheidend, ihren Anspruch und die Wirklichkeit auseinanderzuhalten – zum Glück fallen sie in der vorliegenden Selbstdarstellung so weit auseinander, dass die hier aufgezeigten Widersprüche auf der Hand liegen. Zweitens gibt es keinen Grund, den Idealismus dieser Partei irgendwie zu teilen: So wenig die NPD mit einem baldigen “Zusammenbruch” des “Systems” rechnen kann, der regelmäßig verschoben wird, so wenig kann man von einem automatischen Zusammenbruch der NPD ausgehen, der ebenso oft vorhergesagt wurde. Die NPD wird erst und genau dann erledigt sein, wenn sie die Grundlagen dessen einbüßt, was sie für ihren Erfolg hält: ihre Mandate, das Geld des Staates und die falsch verstandene Toleranz der Masse.

Unrecht hat, wer das Leben beleidigt – und deswegen gilt es, der NPD beim Auszug aus den Landtagen in Mecklenburg-Vorpommern 2011 und in Sachsen 2014 nachzuhelfen.

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