Hintergrund: Im April 2007 wurde die im sächsischen Mittweida gegründete Kameradschaft “Sturm 34” verboten. Zu der militanten Neonazi-Gruppe gehörte ein V-Mann der Polizei. Ein Schriftsatz des Innenministeriums zeigt nun, wie versucht wurde, den Spitzeleinsatz zu verschleiern: Akten wurden gesperrt und dem Gericht vorenthalten, “zum Wohle des Freistaates Sachsen”.
Von Gastautorin Carina Boos
V-Leute, “Vertrauenspersonen” (VP) genannt, sind ein heikles Thema, gerade im sächsischen Untersuchungsausschuss zum NSU. Klare Aussagen haben Sammlerwert, denn wahlweise fehlt die Erinnerung oder eine Aussagegenehmigung des Dienstherrn.
Ausnahmen bestätigen die Regel: Anfang Dezember war sich der ehemalige Landespolizeipräsident Bernd Merbitz völlig sicher, dass Polizei und LKA in Sachsen keine Spitzel im Staatsschutzbereich verwenden. So etwas käme “nicht bei uns zum Einsatz”, versicherte Merbitz mehrfach. Kürzlich betonte auch eine so genannte “Expertenkommission” des Sächsischen Staatsministeriums des Innern (SMI):
“Der Staatsschutz der Polizei in Sachsen führt keine VP.”
Offenbar existiert dazu ein gleichlautender, interner Erlass des SMI. Er macht in Sachsen, ganz im Gegensatz zu anderen Bundesländern, V-Leute zu einer exklusiven Domäne des “Verfassungsschutzes”.
Ex-Polizist als V-Mann der Polizei
Doch auch hier bestätigen Ausnahmen die Regel. Eine namhafte Ausnahme ist “Sturm 34”. Diese militante Neonazigruppe wurde im April 2007 verboten, reichlich ein Jahr nach ihrer Gründung in Mittweida. In dieser Zeit war die Kameradschaft, benannt nach einer SA-Einheit, auf mehr als 170 teils uniformierte und teils mit NPD-Parteibuch ausgestattete Aktivisten angewachsen.
Auf das Konto ihres “harten Kerns” gingen zahlreiche gezielte Körperverletzungen, mindestens 37 zum Teil schwere Straftaten zählten die Ermittler. Dass die Kameradschaft in mehreren sächsischen Landkreisen derart wütete, erfuhr eine breite Öffentlichkeit aber erst am Tag des Verbots.
“Sturm 34” organisierte 2006 mit diesem vielsagenden Aushang eine Fahrgemeinschaft zum zweiten “Fest der Völker” in Jena. V-Mann Rott, Spitzname “Joker”, wollte mitkommen – die Spesen für solche Ausflüge erstattete der Staatsschutz. Organisator der Veranstaltung in Thüringen war kein Geringerer als Ralf Wohlleben, der sich derzeit im NSU-Prozess verantworten muss. Faksimile: GAMMA.
Dass “Sturm 34” außerdem durch einen V-Mann infiltriert war, ist wiederum ein Jahr später durch Presseberichte bekannt geworden. Zu dem Zeitpunkt verhandelte das Landgericht Dresden gegen die Rädelsführer. Unter den Angeklagten befand sich der frühere Polizist Matthias Rott aus Nossen. Sein Name taucht auch in der Verbotsverfügung gegen “Sturm 34” auf. Dort heißt es, Rott habe “in einer Vernehmung Einzelheiten zur Struktur der Vereinigung ausgesagt”.
Das ist untertrieben, wenn nicht falsch: Rott war kein Zeuge oder Informant, sondern genau das, was es gar nicht geben sollte: Ein V-Mann der Polizei, geführt durch den Chemnitzer Staatsschutz. Der Fall brachte gestern den sächsischen Innenminister Markus Ulbig bei seiner Vernehmung im Untersuchungsausschuss in arge Erklärungsnot.
Besser keine Wahrheitsfindung
Wie jetzt bekannt wurde, bemühte sich das Landgericht Dresden fortan bei der Polizeidirektion Chemnitz-Erzgebirge, Einblick in die so genannte “VP-Akte” des Matthias Rott zu erhalten. Die gesuchte Akte enthält unter anderem Berichte seiner konspirativen Treffen mit Staatsschutz-Beamten. Allein die Anfrage hat im Polizeiapparat Unruhe ausgelöst. Das zeigt ein fünfseitiges, internes Schreiben des SMI vom Mai 2008:
“Das Sächsische Staatsministerium des Inneren erklärt nach Prüfung der Sach- und Rechtslage […] dass es dem Wohle des Freistaates Sachsen Nachteile bereiten würde, die Informantenakte des Rott herauszugeben oder die in jener Informantenakte enthaltenen Vermerke über Treffen mit dem Angeklagten Rott in Kopie oder Abschrift zu übermitteln”
Das komplette Schreiben liegt der Fraktion Die Linke im Sächsischen Landtag vor, die dazu am Dienstag eine Anfrage an die Landesregierung stellte.
Damalige Folge des Papiers: Die begehrten Akten wurden und bleiben gesperrt. Man habe das Staatswohl gegen die “Belange der gerichtlichen Wahrheitsfindung” abgewogen – ausdrücklich zu Ungunsten der Wahrheitsfindung. Zwar sei Rott schon öffentlich als V-Mann geoutet worden, seine Tätigkeit also nicht mehr zu leugnen. Doch die Herausgabe von Akten würde “Auswirkungen auf die weitere Verwendung von gegenwärtig oder zukünftig in anderen Ermittlungsverfahren eingesetzten Vertrauenspersonen/Verdeckten Ermittlern entfalten.”
Die Formulierung legt eine bestimmte Lesart sehr nahe: Dass V-Leute bei der sächsischen Polizei keineswegs eine Ausnahme, sondern ein “entfaltetes” Einsatzmittel, also die Regel sind. Vor Gericht behauptete Rott übrigens, er habe schon vor der Gruppengründung mit der Polizei kooperiert. Daraus ergibt sich der bis heute nicht ausgeräumte Verdacht, dass ein V-Mann der Polizei an der Gründung von “Sturm 34” beteiligt gewesen ist.
Urheber unbekannt
Pikant ist das nun aufgetauchte Dokument schon dadurch, dass es gezeichnet wurde durch einen Mann, der jüngst im Untersuchungsausschuss das glatte Gegenteil behauptet hat: Bernd Merbitz. Allerdings hat er das Schreiben nicht händisch unterschrieben, ebenso wenig ein namentlich angegebener Sachbearbeiter, sondern eine ansonsten nicht ausgewiesene “Angestellte”. Nachweisbar ist zwar, dass der Schriftsatz im Landgericht Dresden eingegangen ist.
Unklar bleibt jedoch, wer ihn tatsächlich formuliert hat. Er ist immerhin abgedruckt unter dem Briefkopf des SMI. Das ist also jene Behörde, die verfügt hatte, keine V-Leute bei der Polizei einzusetzen. Damaliger Innenminister und politisch Verantwortlicher war Albrecht Buttolo, CDU.
Zur CDU gehört auch Bernd Merbitz. Seinen Einsatz bei der Repression gegen Neonazis erkennen indes auch KritikerInnen an, unabhängig vom Parteibuch. Der frühere Chef der “SOKO Rex” leitet jetzt das “Operative Abwehrzentrum” (OAZ). Das V-Mann-Problem ist dadurch für die Polizei künftig gelöst. Im Konzeptpapier zum OAZ-Aufbau heißt es nämlich, die Polizei werde sich – trotz Trennungsgebot von Polizei und Geheimdienst – “eng mit dem Landesamt für Verfassungsschutz austauschen”.
Matthias Rott. Über den fehlgeschlagenen Versuch einer juristischen Aufarbeitung von “Sturm 34” berichteten Medien ausführlich, politische Verantwortung will bis heute niemand tragen. Siehe die Beiträge “Sachsens braune Schläger” (Report Mainz) und “Freispruch für Rechtsextreme” (Kontraste) von 2008.
Sächsische “Erfolgsgeschichte”?
Erst kürzlich hatte der Vizepräsident des sächsischen Landesamtes für Verfassungsschutz (LfV), Olaf Vahrenhold, behauptet, die Aushebung von “Sturm 34” gehöre zur “Erfolgsgeschichte” seiner Behörde. Das Verbot sei nämlich “auf Erkenntnisse des Verfassungsschutzes” zurückzuführen gewesen.
Die Aussage fiel wörtlich Anfang März, wieder im sächsischen Untersuchungsausschuss – und wieder falsch. Mit Matthias Rott hatte das LfV wohl nichts zu schaffen. Und von einer “Erfolgsgeschichte” zu sprechen, ist gewagt: Das Verfahren gegen “Sturm 34” wurde jahrelang verschleppt, die Rädelsführer erhielten geringfügige Strafen. Das Gericht sprach ihnen wahlweise mangelndes “intellektuelles Inventar” oder eine “günstige Sozialprognose” zu. Führende “Sturm 34”-Aktivisten blieben fortan in der Neonazi-Szene aktiv.
Nicht näher beleuchtet wurde deren Beziehung zu Harald Nieher, dem ehemaligen NPD-Kreisvorsitzenden aus Mittweida. Der hatte beispielsweise den “Sturm 34”-Schläger Tom Woost telefonisch angewiesen, Linken “richtig vor die Glocke” zu hauen.
Längere Zeit im Knast saß nur Matthias Rott selbst, nach dem Verbot von “Sturm 34” haben ihn die Behörden fallen lassen wie eine heiße Kartoffel. Sein Spitzeldienst war in der Gruppe schon vorher bekannt geworden: Beamten soll sein Name herausgerutscht sein als versucht wurde, einen weiteren Spitzel in der Kameradschaft anzuwerben.