Erstveröffentlichung* – In der Ausgabe 16 des Neonazi-Magazins hier & jetzt (Untertitel: “radikal rechte Zeitung”, im Jargon der Redaktion: “HJ”), die Ende Dezember 2010 mit dem Schwerpunkt “Sarrazin von rechts” erschienen ist, gibt es ein bemerkenswertes Interview mit Volkmar Weiss (66) – laut Editorial “dem Mann, der hinter Sarrazins Thesen steht”, sein “wissenschaftlicher Kronzeuge”. Der in Alt-Lindenau wohnhafte Weiss ist laut Vita Intelligenzforscher, Genetiker und Genealoge. Von 1990 bis 2007 leitete er die Deutsche Zentralstelle für Genealogie, angesiedelt beim Staatsarchiv Leipzig.
Doch Weiss’ eigentliche Passion ist die Rassehygiene, mit der er auch in hier & jetzt (S. 27–33) auftrumpft:
“An der biologischen Ungleichheit der Menschen, insbesondere am unterschiedlichen IQ, seinen sozialen Folgen und seiner Vererbung, ist bisher die egalitäre Utopie der Linken gescheitert. Daraus zogen sie den Schluß, daß, wenn man die Utopie retten […] will, alles Denken und Wissen über diese biologische Ungleichheit ausschalten und tilgen und jede Gegenmeinung als ‘Rassismus der Intelligenz’ bekämpfen muß.”
Laut Weiss sei es zwar möglich, “den molekulargenetischen Existenzbeweis eines derartigen [Intelligenz-] Gens” anzutreten; dem stünde jedoch ein internationales “egalitäres Meinungsmonopol und Tabu” entgegen. Jüngste Forschungsergebnisse in dieser Richtung seien ein “Versuchsballon des chinesischen Geheimdienstes” (!) gewesen. Weiss selbst habe zu DDR-Zeiten die eigenen Arbeiten “außer Landes schmuggeln” müssen – wobei zu diesen Arbeiten auch die nicht eben subversive “Erkenntnis” gehört, Frauenstudium sei eine “Methode der Empfängnisverhütung”. Belege für all das fänden sich “im Weltnetz”.
Bei Freies Netz Süd rühmt der Neonazi Jügen Schwab den Interviewpartner Weiss als “Ideengeber Sarrazins, weshalb mit diesem Gesprächspartner ein ‘großer Fisch’ in ‘Hier & Jetzt’ an Land gezogen wurde.” Das Interview war tatsächlich “Chefsache” und wurde vom Redaktionsleiter Arne Schimmer geführt.
Die seit 2005 vier Mal jährlich erscheinende hier & jetzt gilt als Theorieorgan der Naziszene. Damit sollen vor allem jene Kreise angesprochen werden, die sich als nationalkonservativ oder “nationalrevolutionär” verstehen. Zunächst wurde die Zeitschrift von den sächsischen Jungen Nationaldemokraten (JN) herausgegeben, mittlerweile liegt die Verantwortung bei der NPD-Stiftung Bildungswerk für Heimat und nationale Identität unter der Ägide des besagten NPD-Landtagsabgeordneten Schimmer.
Weiss’ Interview ist wohlgemerkt kein Ausrutscher, denn seine Ausflüge in die rechte Publizistik haben Routine. In der Ausgabe 54 der Zeitschrift eigentümlich frei (ef, August 2005) wurde beispielsweise ein Aufsatz abgedruckt, in dem er sich beschwert, dass sich “Lehrer mit einem ständig steigenden Anteil von Kindern herumschlagen, die […] in Armut geboren werden” – statt sich auf Bildung und Erziehung der Kinder aus Akademikerfamilien zu konzentrieren. Das ist ein Plädoyer für bessere “Erbsubstanz”, wobei die ef – Selbstbezeichnung: “libertär” – ohnehin als Querfrontblatt gilt.
Und das Weiss’sche Menschenbild ist in diesem Milieu gefragt. In einem weiteren Aufsatz unter der Überschrift “Der IQ der Völker” fasst Weiss seine “Erkenntnisse” folgendermaßen zusammen:
“Es gibt drei Typen von Menschen: Menschen (mit einem IQ über 123), die Maschinen erfinden, Menschen (mit einem IQ über 104), die Maschinen reparieren, und Menschen, die Maschinen bedienen.”
Weiss hat etliche solcher Traktate, die sämtlich der Beleidigung des Lebens dienen, in eine Maschine – seinen Computer – eingehämmert. Die darin propagierten Weisheiten aus dem Arsenal der Rassekunde finden noch immer Nachbeter und sind deshalb eine genauere Betrachtung wert:
Eugenik und Dysgenik: Stichworte für Sarrazin
Volkmar Weiss steht mit seinen Thesen nicht im Licht der Öffentlichkeit. Aber ein anderer, der ausgiebig auf diese Thesen zurückgreift: Thilo Sarrazin. Er hat offenbar Weiss’ Buch “Die IQ-Falle: Intelligenz, Sozialstruktur und Politik” gelesen, das vor elf Jahren im rechten Stocker-Verlag erschienen ist. Bei Weiss geht es um die “Züchtung der Dummheit”, bei Sarrazin – mit gleicher Intention – um den angeblichen Verlust der Intelligenz der Deutschen dank Zuwanderung.
Dafür ist Weiss ein Experte. Auf seiner Website vergleicht er die mittlereren Intelligenzquotienten verschiedener “Völker” mit dem ökonomischen Erfolg der entsprechenden Länder. Er bezieht also eine statistische Größe auf fiktive Menschengruppen und korreliert sie mit sozioökonomischen Kennzahlen. Ergebnis sei ein fortschreitender “Verfall der nationalen Begabung” und eine abnehmende “Bevölkerungsqualität”.
Sarrazin greift diesen Punkt auf bezeichnet ihn als “sozioökonomische Qualität der Geburtenstruktur” – offenbar eine verschleiernde Wortneuschöpfung. Weiss dagegen spricht Klartext: Die “Bevölkerungsqualität” sei in Deutschland schon lange im Eimer: Ihren “Gipfelpunkt” habe die “deutsche Kultur” (er meint die “Weltgeltung der deutschsprachigen Wissenschaft” als Ausdruck “nationaler Begabung”) “nach 1918 erreicht” und sei nun dem Verfall preisgegeben. Warum? “Der Umschlagpunkt, von dem an es kein Entrinnen mehr […] gibt, ist die Einführung des allgemeinen und gleichen Stimmrechts.”
So sei es auch in Südafrika durch die Abschaffung der Apartheid geschehen. Weiss lässt suggestive Zahlen sprechen, ohne ihr Zustandekommen zu klären: “Schwarze Südafrikas mittlerer IQ 66, Weiße 94, Colored 82” – mit weiter fallender Tendenz dank der “gemischten” und “farbigen Rassen”. Darin sieht Weiss eine Bestätigung der Theorien des Rassekundlers Francis Galton (1822–1911) – er gilt als Begründer der Eugenik. Weiss und Sarrazin benutzen kurzerhand den ungebräuchlichen, weniger vorbelasteten, aber inhaltlich identischen Gegenbegriff “Dysgenik”.
Angeblich passende Beispiele für “dysgenische” Wirkungen hat Weiss allerhand, etwa die Sinti und Roma: “Die Zigeuner stellen also auch heute noch das entspannte Leben vor den wirtschaftlichen und sonstigen Erfolg. Noch immer ähneln sie Mitgliedern von Urgesellschaften, die, ohne auf Mehrwert zu schielen, gerade soviel arbeiten, daß es zum Leben reicht.”
Oder den “mittleren IQ-Unterschied […] zwischen Bremen und Bayern von rund zehn IQ-Punkten. Solche regionalen Unterschiede hat auch Sarrazin aufgegriffen, der recht hilflos versucht, das statistische IQ-Gefälle – beispielsweise zwischen Ost- und Westdeutschland – gegenüber dem Satiriker Martin Sonneborn plausibel zu machen. Für den “Wissenschaftler” Weiss liegt die Erklärung auf der Hand: “Je länger eine Bevölkerung von Sozialisten und Kommunisten regiert worden ist, desto dümmer ist sie.”
Weiss und der Nationalsozialismus
Volkmar Weiss ist sich sicher: Deutschland steht vor einer lang absehbaren “demographischen Implosion”. Um seinen Glauben trotz “antifaschistisch-demokratischer Teufelsaustreibung” unters (eventuell noch nicht ausreichend dumme) “Volk” zu bringen, ist er auch sehr umtriebig bei Wikipedia. Dort schreibt er u.a. unter dem Pseudonym “Gregor Strasser”.
Und tatsächlich sieht Weiss in der NSDAP “die Partei, die damals für eine derartige politische Einsicht offen war und ab 1933 auch die Macht zum Handeln hatte.” Bis heute sei das Thema Bevölkerung “konsequent und ernsthaft […] nur von den deutschen Rechtsparteien artikuliert worden”, weil es ansonsten tabuisiert werde:
“Nur Personen, die sich sowieso schon mehr oder weniger außerhalb dieses engeren demographischen Zirkels bewegten, konnten es wagen und wagten es, ihre Stimme zu erheben. So unterzeichneten 1981 zwanzig deutsche Universitätsprofessoren das ‘Heidelberger Manifest’, das im selben Jahr zur Gründung des ‘Schutzbundes für das deutsche Volk’ führte.”
Das “Heidelberger Manifest” ist ein rassistisches Traktat. Der erwähnte “Schutzbund” war eine kurzlebige Neonazi-Organisation jenseits der Mauer, in der sich der DDR-Bürger Weiss zum Glück nicht betätigen konnte. Was ihn jedoch nicht hinderte, später für derartige Klientel zu schreiben: Seine Texte wurden u.a. von der einschlägigen Deutschen Gesellschaft für Freie Publizistik, der Deutschen Studiengemeinschaft und dem oben bereits erwähnten Leopold-Stocker-Verlag veröffentlicht. Für die Junge Freiheit stand er ebenso als Interviewpartner und Gastautor zur Verfügung wie für das NPD-Parteiblatt Deutsche Stimme. Bei Burschenschaften ist er gern gebuchter Referent. 1990 war er Mitbegründer der DSU, über deren kontinuierlichen Rechts-Kurs auch im aktuellen GAMMA #189 berichtet wird.
Weiss ist außerdem Mitherausgeber der rassistischen US-Zeitschrift Mankind Quarterly sowie der Nouvelle École, einem Organ der französischen Nouvelle Droite um Alain de Benoist. Ab 2005 saß Weiss auf Vorschlag der sächsischen NPD-Fraktion für knapp ein Jahr als “Experte” in der Enquête-Kommission für “Demografische Entwicklung”.
Seine “wissenschaftlichen” Ansichten fallen offenbar zusammen mit seinen politischen Intentionen. Er schreibt an gegen das “schizophrene Weltbild, das fremden Menschen am liebsten sofort allen die gleichen Rechte wie den Einheimischen einräumen möchte” und greift dafür auf einen besonders geschmacklosen Vergleich aus dem Repertoire des Sozialdarwinismus zurück:
“Jede Pflanze im Freien, die wächst und gedeiht, muß sich im Kampf und Krieg gegen ihre Konkurrenten behaupten. Der Kampf ist ein Urgesetz des Lebens. […] Der Kampf ist die geschichtliche Form des Völkerlebens. Erscheinungsformen des Völkerkampfes sind […] auch die alltäglichen Grenzkämpfe an den Rändern der völkischen Lebensräume, die politisch-diplomatischen Machtkämpfe der Staaten, die wirtschaftlichen Konkurrenzkämpfe zwischen den Nationen, der Wettbewerb großer nationaler Kulturen und Zivilisationen um die Vorherrschaft auf dem Erdball.’ Im Motto der Olympischen Spiele 1936 in Berlin war dieser evolutionäre Standpunkt in einem Satz zusammengefaßt: ‘Wer leben will, der kämpfe also, und wer nicht kämpfen will in dieser Welt des ewigen Ringens, verdient das Leben nicht.'”
Dieses “Motto” – bis heute in der faschistischen Parole “Leben heißt kämpfen” bewahrt – ist ein Ausspruch Adolf Hitlers, der mitnichten Blumen im Sinn hatte. Die absurde Pflanzen-Metapher ist abgeschrieben aus einem NS-Machwerk (“Volk im Feld”) von 1943 – laut Weiss eine Zeit “nationaler Begabung”. Eine Zeit, in der feststand, wer das Leben nicht “verdient” hat. Heute wollen Menschen wie Weiss diese Entscheidung wieder treffen.
Zum Weiterlesen
- Kritische Presseartikel über Volkmar Weiss in der TAZ, dem Freitag, den Antifaschistischen Nachrichten und der Jungle World
- Mit einigen von Weiss’ Thesen hat sich die Gruppe “Kritische Psychologie Marburg” auseinandergesetzt. Dazu gibt es einige Ausführungen zu seiner Rolle als Gewährsmann Sarrazins. Mit der ideologischen Funktion von Bevölkerungsprognosen und dem Gerede vom “Aussterben der Deutschen” hat sich chronik.LE in der Broschüre “Leipziger Zustände 2010” (S. 18–21) befasst.
- Der österreichische Leopold-Stocker-Verlag, in dem Weiss seine “IQ-Falle” veröffentlicht hat, wird vom Grazer “Arbeitskreis gegen rechtsextreme Literatur” in einer Broschüre unter die Lupe genommen: Das Herz am rechten Fleck. Der Leopold Stocker Verlag und die rechtsextreme Szene
- Mit rassistischen Tendenzen auf dem Terrain der “life sciences” befasst sich die “AG gegen Rassismus in den Lebenswissenschaften” (AGgR). Auf deren Website gibt es viele lesenswerte Texte, außerdem hat die Gruppe ein Buch zur Kontinuität biologischer “Rasse”-Konzepte herausgegeben.
- Mit dem ideologischen Gebrauch des Begriffs “Intelligenz” und dessen biologistischen Spielarten setzt sich Freerk Huisken in seiner kritischen Studie “Erziehung im Kapitalismus” allgemeinverständlich auseinander.
Editionsnotiz: Dieser Artikel wurde vom Freundeskreis Dr. Georg Sacke verfasst und uns zur Veröffentlichung überlassen.
Schon vor mehreren Jahren sollte im GAMMA ein Artikel zu Volkmar Weiss erscheinen – eben weil er ein Rassist ist und die Nähe zu Nationalsozialisten sucht. Den Artikel hat es dann nicht gegeben, weil sich Weiss nach den o.g. Pressveröffentlichungen zurückgenommen und das sächsische Innenministerium gegenüber der TAZ versichert hat, die Personalie “zusammen mit dem Verfassungsschutz auszuwerten”. Die “Auswertung” entsprach einem Aussitzen, bis Weiss in Rente ging. Unsere Zurückhaltung war staatsidealistisch und vor allem: unbegründet – wir machen sie wieder gut mit diesem Text, den wir ausnahmsweise zunächst “online” veröffentlichen.